: Unterm Strich
Der Streit um Daniel J. Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ verhindert die Einrichtung eines Lehrstuhls für Holocaust- Forschung an der renommierten amerikanischen Harvard University, für den der New Yorker Finanzier Ken Lipper eine Spende von 3,2 Millionen Dollar angeboten hatte. Die New York Times berichtete am Samstag, daß die dreijährige Suche nach einem Lehrstuhl in Harvard auf unbestimmte Zeit vertagt worden sei.
Goldhagens wissenschaftliche und politische Gegner hatten den prominenten New Yorker Anwalt und Börsenmakler Ken Lipper beschuldigt, den Lehrstuhl nur für Goldhagen einrichten zu wollen. Lipper bestreitet eine derartige Einflußnahme, die mit den Harvard-Prinzipien unvereinbar wäre.
In Goldhagens Buch, das in Amerika ebenso wie in Deutschland zum Bestseller wurde, hatte der Autor den Holocaust aus dem seiner Überzeugung nach tief verwurzelten Antisemitismus in der deutschen Kultur erklärt. Die meisten seiner Gegner wollten Christopher Browning auf den Harvard- Lehrstuhl holen, einen Professor an der Pacific Lutheran University in Tacoma im Bundesstaat Washington. Browning war aus dem Studium vieler identischer Unterlagen zum Schluß gekommen, daß der soziale und politische Druck Hauptmotiv der Beteiligten an der Judenverfolgung gewesen sei.
Goldhagen hat Browning beschuldigt, bewußt wichtige Dokumente ignoriert zu haben, um seine These aufrechterhalten zu können. Der Streit wurde in wissenschaftlichen Publikationen ebenso wie in Magazinen für das breitere intellektuelle Publikum ausgetragen. Goldhagen und Browning sind nicht die einzigen prominenten Holocaust- Forscher in den USA. Die meisten der Berühmten stehen altersmäßig am Ende ihrer wissenschaftlichen Laufbahn, so daß ein jüngerer Kandidat gesucht wird.
Ein Lehrstuhl für Holocaust-Forschung in Harvard könnte die wissenschaftliche Richtung dieser Forschung in den USA und darüber hinaus auf Jahre bestimmen. Browning hatte die Entscheidung gegen ihn so begründet: „Ich bin kein Jude, und ich komme von einem kleinen College.“ Lipper, dessen Vater einen Schuhladen im New Yorker Stadtteil Bronx betrieb, nennt sich nach den langen Auseinandersetzungen einen „weiseren Mann“. Es sei manchmal schwerer, Geld zu nehmen als Geld zu geben.
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