Unterhaus-Nachwahl in Wales: Brexit-Gegner erringen Mandat
Die Liberaldemokraten holen den Wahlkreis Brecon und Radnorshire. Das wird gravierende Auswirkungen auf Boris Johsons Brexit-Pläne haben.
Die Wahl hat Auswirkungen auf die Zukunft von ganz Großbritannien. Denn die 55-jährige Liberaldemokratin, bisher Sozialarbeiterin und Leiterin der Kinderabteilung des Refugee Councils, reduzierte durch ihren Wahlerfolg die Regierungsmehrheit Boris Johnsons auf nur einen einzigen Sitz. Das wird Johnsons Pläne erheblich einschränken. Der Premierminister hatte angekündigt, einen No-Deal-Brexit durchzuziehen, falls er mit der EU zu keiner Einigung kommen sollte. Da er jetzt nur noch einen äußerst knappen Stimmenvorsprung gegenüber der Opposition hat, könnte sein Vorgehen erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht werden.
Innerhalb des letzten Jahres konnten die Liberaldemokraten bei Wahlen zunehmende Erfolge verbuchen und liegen bei Meinungsumfragen oft an zweiter Stelle.
Die Nachwahl in Wales wurde ausgelöst, nachdem der Tory-Abgeordnete Davies dabei erwischt wurde, wie er Rechnungsbelege für Fotos in Höhe von 800 Euro absichtlich falsch deklarierte. In der Folge wurde er gerichtlich zu einer Geldbuße und Gemeinschaftsarbeit verurteilt. 18 Prozent der Wahlberechtigten in Brecon und Radnorshire, einer stark ländlichen Region in Wales, verwiesen ihn daraufhin per öffentlichem Wahlbegehren aus dem Amt. Dennoch ließ sich Chris Davies geradezu trotzig wieder aufstellen. Seine Partei mag diesen Schritt nun bereuen.
Klare Haltung gegen den ungeregelten Brexit
Der Sieg Dodds bedeutet den ersten öffentlichen Test der neuen politischen Ausrichtung Großbritanniens: Boris Johnson wurde vergangene Woche durch einen parteiinternen Wahlvorgang neuer Premierminister – auch dank seines Versprechens, bis zum 31. Oktober die EU zu verlassen, im Notfall auch ohne ein geregeltes Abkommen.
In Brecon und Radnorshire, territorial der größte Landkreis in Wales und England, mit nur etwa 70.000 Einwohner*innen, stimmte beim Referendum vor drei Jahren eine Mehrheit von 52 Prozent der Wähler*innen für den Brexit. Auch jetzt, und trotz des Sieges von Dodds, verbleibt eine knappe Mehrheit von einem Prozent für Brexit unterstützende Parteien, auch wenn sich der Erfolg von Nigel Farages Brexit-Partei mit nur 10,5 Prozent der Stimmen in Grenzen hielt.
Dodds betonte in ihrer Wahlkampagne neben sozialen Themen, eine klare Haltung gegen einen ungeregelten Brexit. Dieser wäre für viele, die hier in der Landwirtschaft und Schafzucht tätig sind, aufgrund der zu erwartenden hohen EU-Importzölle verheerend. Sowohl die gegen den Brexit agierenden walisischen Grünen als auch die walisische Nationalpartei Plaid Cymru stellten sich bei der Wahl hinter Dodds, indem sie keine eigenen Kandidat*innen ins Rennen schickten.
„In dieser sehr ernsten Zeit benötigen wir eine erwachsene Politik, die das Land vor die Partei stellt“, sagte Dodds in ihrer Siegesrede. Sie forderte ein ultimatives Referendum über den Brexit. Ihre erste Aufgabe sei es, „Boris Johnson aufzusuchen, um ihm mitzuteilen, dass er aufhören muss, mit der Zukunft unserer Gemeinschaft zu spielen und einen ungeregelten Brexit auszuschließen.“ Dodds sprach in ihrer Rede außerdem arbeitende und sozial schwache Familien an, die auf Lebensmitteltafeln angewiesen sind. Auch für den Frust junger Leute angesichts des Klimanotstands äußerte sie Verständnis. Sie alle forderten Besseres, behauptete Dodds.
Johnsons Regierung ist so gut wie machtlos
Die Labour Party hatte, anders als die Grünen und Plaid, ihren örtlichen Kandidaten Tom Davies nicht zurückgezogen, um Dodds zu unterstützen – obwohl auch sie nun für ein zweites Referendum plädiert. Der einzige Sozialist unter den Mandatsanwärter*innen – so bezeichnet er sich selbst – erlitt jedoch die größte Niederlage aller Beteiligten. Sein Endergebnis von nur 5,3 Prozent bedeutet einen Stimmenverlust von Minus 12,5 Prozent für Labour. Zwischen 1939 und 1979 war die Arbeiterpartei in Brecon und Radnorshire ununterbrochen stärkste Partei.
Fakt ist, dass Boris Johnson es nun schwer haben wird. Die Konservative Partei hat auch deshalb nur noch eine knappe Regierungsmehrheit in Westminster, weil sie in jüngerer Vergangenheit den Verlust mehrerer Unterhausabgeordnete beklagen muss. Vier Parlamentarier*innen haben sie verlassen, einer wurde aufgrund einer Klage wegen sexuellen Missbrauchs von der Partei suspendiert. Da es auch parteiintern viele Uneinigkeiten bezüglich des Brexit gibt, könnten noch weitere Parteiaustritte folgen. Es gibt zahlreiche Abgeordnete unter den Konservativen, die gegen einen ungeregelten Brexit sind. Ohne Kompromisse dürfte es für Johnsons Regierung bei Abstimmungen im Parlament also nicht weitergehen. Mit anderen Worten: Diese Regierung ist so gut wie machtlos.
Die liberaldemokratische Fraktion im Parlament ist nun auf 13 Sitze angewachsen, immer noch weit entfernt von den ehemals 57 Sitzen, die sie noch vor neun Jahren besaß. Doch gerade weil viele der liberaldemokratischen Verluste auf das Konto der Konservativen gegangen waren, dürfte es bei den Tories nun durchaus Unbehagen auslösen, dass Jane Dodds den Wahlkreis Brecon und Radnorshire für ihre Partei zurückholen konnte.
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