STANDBILD: Unterhaus-Komödchen
■ Die BBC-Produktion "Ein Kartenhaus" in der ARD, Mi., 20.15 Uhr
Die erste Einstellung zeigt Francis Urquhart mit einem Porträt von Maggi Thatcher in Händen: „Nichts dauert ewig“, sagt der Tory-Fraktionschef, linst listig in die Kamera und legt das silbergefaßte Konterfei kopfunter auf den Schreibtisch.
Als die BBC das Kartenhaus vor zwei Jahren in England zeigte, war Maggi gerade noch im Amt. Und wenn der Film ihre Ära schon für beendet erklärte, so tat er es im hellsichtigen Vorgriff auf das, was ihrem Sturz folgen sollte: das parteiinterne Hauen und Stechen um die Macht.
Denn darum geht es im Kartenhaus: um die Ränke und Intrigen, die einen ins höchste Regierungsamt befördern. Natürlich nicht irgendeinen, sondern Francis Urquhart. Der nämlich ist der Zeremonienmeister, der die Fäden knüpft und die Marionetten tanzen läßt. Aristokratisch, voll unterkühlter Bosheit und in seinem Kalkül so klug wie gewissenlos, bahnt er sich unaufhaltsam den Weg in die Downing Street Nr. 10.
Zu den pikanten Details des hierzulande mit viel Vorschußlorbeeren bedachten Polit-Thrillers gehört, daß die Romanvorlage von Michael Dobbs stammt. Der war früher mal Werbefachmann und hat in dieser Funktion auch die Wahlkampf-Kampagne der Torries betreut. Aus seinen Insider-Erfahrungen will Dobbs den Stoff für das Politstückchen gewonnen haben. Lediglich das Schlimmste habe er weggelassen.
What a pity! Denn so ist das Kartenhaus zwar ein zuweilen vergnügliches Ränkespiel, allein es fehlt ihm der rechte Biß. Sicher verleiht der mit Preisen dekorierte Schauspieler Ian Richardson der Figur des Urquhart bravourös den Charme eines skrupellosen Gentleman-Intriganten. Feinste Nuancierungen in der Stellung der Mundwinkel stehen für die ganze Ausdruckspalette seiner misanthropischen Grundhaltung von der mokanten Stichelei bis zur unverhohlenen Perfidie. Immer sind seine Manschetten von makelloser Weißheit, sein Lächeln ist so süß-sauer, als fürchte er ständig um die Haftkraft der dritten Zähne, und im Vollgefühl einer gelungenen Gemeinheit summt er auch mal ein Stückchen Wagner.
Gelegentlich passiert es sogar, daß Urquhart sich direkt an uns ZuschauerInnen wendet, um mit Verschwörerblick den Fortgang seiner Intrigenarbeit zu kommentieren. Das gibt dem Ganzen eine Note von Shakespeare und ist wirklich ein netter Regie-Einfall.
Dennoch aber kann das Kartenhaus die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Das, was als Polit-Thriller angekündigt wurde, entpuppt sich als Unterhaus-Komödchen. Nach Dallas-Manier ergeht sich eine klandestine Upper class mit Urquhart als verfeinertem J.R. im parteiinternen Geklüngel. Die satirische Geißelung beschränkt sich auf einen Vorführeffekt und bleibt weit hinter den wirklich bitterbösen Kritiken des Thatcherism zurück, wie sie beispielsweise Stephan Frears oder Derek Jarman in ihren Filmen geliefert haben.
Trotzdem ist das Kartenhaus ein sehenswerter Fernsehfilm. Beweist er doch, daß die hohen Politiker ihre Diäten allemal wert sind. Schließlich liefern sie neben ihrer staatslenkerischen Tätigkeit auch noch den Stoff für unsere Unterhaltung. Und zwar gratis. Martin Muser
Lafontaine zum Trost gibt's den zweiten Teil von Ein Kartenhaus am Sonntag, dem 14. Juni, um 20.15 Uhr im Ersten.
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