: Untergrundpresse
■ Wie Frühstückssemmeln geht Stockholms kostenlose U-Bahn-Zeitung. Nun soll sie nach Berlin kommen
Das Konzept ist so einfach, daß man sich wundert, warum noch niemand vorher darauf kam. Das Werbeblättchen als aktuelle Tageszeitung, kostenlos in aller Frühe an die Passagiere des öffentlichen Nahverkehrs verteilt. Das Blatt hat den Namen metro, und es erscheint seit Mitte Februar in Stockholm. Es hat so durchschlagenden Erfolg, daß nun Ableger kommen sollen. Berlin und Zürich sollen – so der schwedische Branchendienst „Resumé“ – die nächsten Stationen sein.
Man braucht nur einen inländischen Partner und einen kooperationsbereiten Verkehrsbetrieb. Denn der ist das Herzstück der Vertriebskette. Das Stockholmer metro liegt in großen Körben ab 5 Uhr morgens an den Kassen der U- Bahn-Stationen. Niedere Vertriebsaufgaben wie das Aufschneiden der Zeitungsbündel übernehmen die Bediensteten der Verkehrsbetriebe SL. Dafür bekommt SL eine jährliche Millionenentschädigung von metro und außerdem eine tägliche freie Seite im Blatt – welche der Verkehrsbetrieb für Eigenwerbung und aktuelle Fahrplanänderungen nutzt.
Über die Hälfte der restlichen 19 bis 23 Seiten im U-Bahn- freundlichen taz-Format sind mit Werbung gefüllt. Auf den redaktionellen Seiten findet man vor allem Ticker-Meldungen mit Inlandschwerpunkt. Nicht viel Neues für den, der im Radio die Frühnachrichten gehört hat. Aber sicher kann man nie sein: metro konnte einige namhafte KolumnistInnen gewinnen, und ab und an haben die 13 JournalistInnen, die das Blatt machen, auch eine gute Exklusivgeschichte oder eine Kulturbesprechung vom Abend vorher, die man mangels anderer Beschäftigung gerne liest.
Kurz: Kaum jemand, der zwischen 5 und 9 Uhr die U-Bahn benutzt, greift nicht in den metro- Korb und so ist die Auflage von 240.000 schnell verteilt.
Verluste bei den Seriösen
Damit ist die einzige schwedische Zeitungsgründung seit 50 Jahren auf Anhieb Nummer zwei in Stockholm geworden – der Werberubel rollt. Der Anzeigenverkauf gehe „über Erwarten gut“ freut sich Herausgeber Hans Christer Ejemyr. Die anderen Tageszeitungen bekommen das zu spüren. Die seriösen Morgenblätter Dagens Nyheter und Svenska Dagbladet haben mehrere lokale Werbekunden ganz an metro verloren – vor allem Supermärkte und Ladenketten. Der Verkauf der Boulevardzeitungen Express und Aftonbladet in U-Bahn-nahen Verkaufsstellen ging um 10 Prozent zurück. Die Idee zu der Erfolgsgeschichte hatten vor zwei Jahren zwei Journalisten. Zwar ist man – noch – weit von dem ursprünglichen Konzept entfernt, eine richtige kostenlose Alternative zu den „seriösen“ Tageszeitungen zu werden.
Aber für die Werbewirtschaft hat man interessante neue Zielgruppen aufgetan: zum einen die 35 Prozent der Haushalte in Stockholm, die sich kein Zeitungsabonnement halten, zum anderen aber kaufstarke VorortpendlerInnen, die zusätzlich zur kostenlosen metro greifen. Und schließlich die von der Presse und der werbenden Wirtschaft bislang kaum in so konzentrierter Form erreichte Gruppe der ausländischen EinwohnerInnen Stockholms.
Verwirklicht hat das Ganze ein Mann, der in Schweden wegen breiten Engagements im Radio- und TV-Sektor als Medienmogul gilt, Jan Stenbeck. Die zuerst recht abschätzigen Kommentare aus den etablierten Zeitungshäusern sind längst verschwunden. „Wir sehen auf metro durchaus als ernst zu nehmenden Konkurrenten“, so Bengt Braun, Chef des Presseriesen Marieberg. Reinhard Wolff
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