Unterbringung von Geflüchteten in Berlin: Viel Zeit und Geld vergeudet
Doch keine Flüchtlingsunterkunft am Landwehrkanal: Die Gespräche über das Ratibor-Areal mit dem Bund sind geplatzt. Ist Finanzminister Lindner Schuld?
Für die Betroffenen ist das eine herbe Enttäuschung. Nicht nur weil nun viel Zeit und Geld in den Sand gesetzt wurden: Seit 2018 die ersten Pläne des Senats für eine Geflüchtetenunterkunft mit 500 Plätzen bekannt wurden, haben Anwohner*innen, Bezirks- und Landespolitiker*innen sowie Verwaltungen immer wieder diskutiert, verhandelt, geplant und vereinbart. „Wir fühlen uns verarscht bis sprachlos – kämpfen aber weiter“, heißt es daher in der Erklärung der Initiative.
Zum anderen ist nun die Zukunft der gut 20 Kleingewerbetreibenden und Wagenplatzbewohner*innen, des Biergartens und der Kita weiter ungewiss. Diese haben seit Jahren nur noch einjährige Pachtverträge von der BImA bekommen – Zukunftspläne und Investitionen sind so natürlich unmöglich. „Wir wollen versuchen, nun bei der BImA wenigstens einen Vertrag über zehn Jahre zu erreichen“, sagte Thomas Meyer von der Initiative der taz. Er arbeitet als Architekt auf dem Ratibor-Areal.
Auch für die Grünen-Abgeordnete Katrin Schmidberger ist die Sicherung des Kleingewerbes nun die vordringlichste Aufgabe. „Ich kann deren Frust gut verstehen. Jetzt müssen wir sehen, wie wir ihre Existenz sichern können“, sagte sie der taz.
Erbpacht wäre schön gewesen
Eigentlich sahen die Berliner Pläne nach Darstellung der Initiative folgendes vor: Der Bund in Gestalt der BImA verkauft einen Teil des Areals, etwa 10.000 Quadratmeter, an die BIM. Diese verpachtet der Ratibor-Initiative als Genossenschaft rund 8.800 Quadratmeter für 65 Jahre in Erbpacht. Dafür verdoppelt diese Genossenschaft die Gebäudeflächen für produzierendes Kleingewerbe, Kultur und Soziales – unter anderem für Arbeit mit den Geflüchteten. Der Wagenplatz hätte einen eigenen Pachtvertrag über „seine“ 1.200 Quadratmeter mit der BIM abgeschlossen.
Des Weiteren hätte die Berlinovo Grundstücksentwicklungs GmbH (BGG), eine 100-prozentige Tochter der landeseigenen Berlinovo, die auf lukratives „Hauptstadtwohnen“ für Geschäftsleute, möblierte Appartements für Studierende und eben Flüchtlingsunterkünfte spezialisiert ist, von der BImA direkt ein Grundstück von gut 3.000 Quadratmetern Fläche erbpachten sollen. Die BGG hätte darauf eine Modulare Flüchtlingsunterkunft (MUF) für rund 250 Menschen – die Hälfte der ursprünglichen Pläne – errichtet. Später hätten dort auch andere Menschen mit geringem Einkommen Platz finden können, so sieht es jedenfalls das MUF-Konzept des Senats vor.
Dass die BGG von der BImA nicht kaufen, sondern „erbpachten“ sollte, war, so Schmidberger, ein wichtiger Verhandlungserfolg für Berlin. „Sonst wäre das Projekt für die BGG wohl wirtschaftlich nicht machbar gewesen.“ Lange hätten BIM und BImA darüber diskutiert, welche Bodenrichtwerte für die Fläche gelten sollten, da der Wert in den letzten Jahren enorm gestiegen sei. Die BImA habe zuletzt aber eingesehen, dass man niedrigere Werte ansetzen sollte, da es ja um Geflüchtetenunterkünfte gegangen sei.
Dies habe Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit seinem Veto verhindert. „Der Bund wollte mehr Geld haben“, sagt Schmidberger. Dies sei umso empörender, als die Bundesebene verpflichtet sei, den Ländern bei ihrer – angesichts des Ukrainekrieges zunehmend schwierigeren – Aufgabe zu helfen, Flüchtlinge unterzubringen. Ihr Parteifreund aus dem Bezirk, Baustadtrat Florian Schmidt, formulierte es gegenüber der taz so: „Herr Lindner spekuliert auf Kosten von Geflüchteten mit der Immobilie. Ich sehe darin die FDP-typische Inkaufnahme von existenziellen Notlagen durch Immobilienspekulation im staatlichen Gewand.“
„Keine Einigung gegeben“
Das Bundesfinanzministerium vertritt dagegen den Standpunkt, man habe keinen rechtlichen Handlungsspielraum für größere Preisnachlässe. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums als Aufsichtsbehörde der BImA erklärte auf taz-Anfrage: Die Bundesregierung sei durchaus bestrebt, Länder, Landkreise und Gemeinden bei der Unterbringung Geflüchteter zu unterstützen, und biete dafür auch viele Liegenschaften an. Im Fall des Ratibor-Areals sei das BMF an den Verhandlungen „zu einzelnen Verhandlungsständen beteiligt worden“ – und man habe stets darauf hingewiesen, „dass eine für beide Seiten ausgewogene Lösung gefunden werden müsse, die insbesondere den haushaltsrechtlichen Erfordernissen Rechnung trägt“. Diesbezüglich habe es aber „keine Einigung gegeben“.
Die Ratibor-Initiative wiederum sieht zumindest eine Teilschuld beim Land. „Letztlich war der Berliner Kardinalfehler schon mit der Entscheidung der Vorgängerregierung getroffen, eine profitorientierte Stieftochtergesellschaft des Landes mit dem MUF-Bau an einem engen Ort in bester Innenstadtlage zu beauftragen“, heißt es in ihrer Erklärung. Die BGG habe auf Gewinne spekuliert – warum sonst habe man ein Grundstücksangebot mit dem Argument abgelehnt, der geforderte Preis mache das Projekt unwirtschaftlich? Weiter fragt Ratibor14: „Warum sollte ausgerechnet das Wohnen von Geflüchteten auf Teufel komm raus kurzfristige Gewinne abwerfen?“
Die Frage mag für manchen überzogen klingen, doch die Politik müsste schon einmal klären: Wie teuer dürfen „Flüchtlingswohnungen“ denn sein? Und was heißt überhaupt teuer angesichts der staatlichen Pflicht, Menschen vor unfreiwilliger Obdachlosigkeit zu bewahren, und angesichts der Tatsache, dass Bezirke bisweilen Tausende Euro pro Monat für die Unterbringung von Familien in sehr schlechten Pensionen ausgeben?
Antworten auf all dies wird es nicht geben, da sich die Beteiligten wie immer über Details des geplatzten Deals ausschweigen. Ob Berlin zu viel Preisrabatt wollte (wie das BMF insinuiert) oder ob der Bund unverschämt viel für das Filetgrundstück am Landwehrkanal wollte (wie die Berliner Seite meint), wird die Öffentlichkeit vermutlich nie erfahren.
Fest steht nur, dass die ganze Sache schon vor einiger Zeit geplatzt ist: „Um den Jahreswechsel“ hat es laut Finanzverwaltung die Gespräche zwischen Lindner und Wesener gegeben. Doch erst jetzt, nach der Wahl, wurde die Initiative von der BIM informiert – und nur sie ging damit an die Öffentlichkeit. Zufall? Wohl kaum, meinen die Leute von Ratibor14. Denn dieses Ende der Geschichte werfe „wenig Ruhmesglanz auf manch wahlkämpfenden Politiker“.
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