: Unter Whisky-Puritanern
Ein seltsamer Hauch von Kreosot und Waffenöl erfreut die Mitglieder der Scotch Malt Whisky Society. Oder doch lieber die leicht medizinische Note? ■ Aus Edinburgh Ralf Sotscheck
Ich überlasse Richard Mohan die Auswahl. In Anbetracht der weit über hundert Flaschen Whisky, alle ordentlich mit einer Nummer versehen, kann ich mich nicht entscheiden. „Nicht zu torfig“, ist meine einzige Bedingung. Der Whisky, der mir serviert wird, schmeckt laut zugehörigem Informationsblatt nach „Geißblatt und Leinöl mit kräftigem Abgang“. Der Tropfen ist zehn Jahre alt und enthält 56,9 Prozent Alkohol. Und es ist erst 12 Uhr mittags.
Die meisten Whiskys, die man im Laden kauft, sind mit Wasser auf 40 Prozent verdünnt. Das ist bei der Malt Whisky Society in Edinburgh verpönt. Keine Flasche hat unter 50 Prozent, manche sogar 66 Prozent. Allerdings, so lautet eine von zwei Grundregeln an der Wand, solle man niemals Whisky ohne Wasser trinken. Die zweite Regel: „Trinke niemals Wasser ohne Whisky.“
Ein paar Tropfen Wasser, so erklärt Sibh Megson, bringen den Geschmack des Whiskys erst richtig zur Geltung. Sibh Megson ist Leiterin der Vertriebsabteilung bei der Scotch Malt Whisky Society in Edinburgh. Die Gesellschaft ist 1982 als privater Club der Whiskyfreunde gegründet worden. Die Zweckgemeinschaft legte zusammen, kaufte Fässer voller Whisky direkt von den Brennereien und füllte sie privat ab. Seit 1983 kann jeder Mitglied werden, vorausgesetzt, er mag Whisky und zahlt den Beitrag – darin enthalten ist eine Flasche Whisky.
Richard Mohan, der Diplombiologe, der nach seinem Umzug von Irland nach Schottland zum Scotch konvertierte, ist seit zehn Jahren Mitglied. Er hatte seinen Beitritt mit Freunden bei einem feuchtfröhlichen Abend in den Räumen der Gesellschaft gefeiert, und am nächsten Morgen stellte Richard fest, dass seine Flasche Begrüßungs-Malt verschwunden war. Auch bei der Whisky Society war sie nicht aufzufinden, aber man versprach, ihm eine neue zu schicken. Am nächsten Tag traf sie gut verpackt ein. Einen Tag später kam wieder eine Flasche und am dritten Tag noch eine. Offenbar hatte es Kommunikationsstörungen gegeben. Eine Woche später bekam Richard einen Anruf von seinen Freunden: „Du warst an dem Abend so betrunken, dass wir die Flasche sichergestellt haben, weil wir Angst hatten, du würdest sie fallen lassen.“
Die Scotch Malt Whisky Society wird das vierfache Begrüßungsgeschenk verschmerzen können. Sie hat alleine in Großbritannien mehr als 15.000 Mitglieder, die den Whisky direkt bei der Society oder per „Mail Order“ kaufen können. Die Gesellschaft lässt sich von den Brennereien Proben schicken, die hauseigenen Experten prüfen den Tropfen und entscheiden, ob das Fass gekauft werden soll. Ist ihr Urteil positiv, füllt die Whisky Society das Gesöff in Flaschen – mit eigenem Etikett, das zwar über Alkoholstärke, Monat der Destillation und der Abfüllung informiert, nicht jedoch über den Namen der Brennerei. Das mögen die Brennereien, eine der wichtigsten Exportbranchen Britanniens, nämlich nicht, denn ihr Markenname steht für ein Produkt, dessen Geschmack und Qualität jahrein, jahraus gleichbleibend ist.
Das erreicht man nur, wenn verschiedene Fässer gemischt werden. Beim Whisky hänge viel vom Fass ab, das Holz habe einen großen Einfluss auf den Whisky, sagt Sibh Megson. Es gibt der geschroteten Gerste, die mit heißem Wasser aufgeweicht, mit Hefe vergoren wird und in Destillierapparaten zum Whisky reift, die Farbe und den unverwechselbaren Geschmack.
So enthalten die Fässer, die die Malt Whisky Society kauft, ein einmaliges Produkt. Der Whisky hat die Alkoholstärke, die er mit den Jahren erreicht hat. Der Gedanke an eine Filterung würde den Puritanern die Haare zu Berge stehen lassen. „Damit würdest du auch bestimmte Aromastoffe herausfiltern“, sagt Richard Mohan.
Um den Mitgliedern Anhaltspunkte zu geben, veröffentlichen die Experten ihre Urteile im Vereinsblatt. Da ist dann von einem „seltsamen Hauch von Kreosot und Waffenöl, von alten Zäunen und gerade abgefeuerten Pistolenläufen“ die Rede. Einem anderen Whisky bescheinigen sie eine „leicht medizinische Note, wie Gipsverbände, dann Earl-Grey-Tee und einen Hauch von Teer“. So etwas soll man trinken?
Kein Wunder, dass die Brennereien ihre Namen nicht auf dem Etikett sehen wollen. Wer aufpasst, findet es aber doch heraus, und zwar anhand der Nummern auf den Etiketten. Die Nummer 4.46 bedeutet zum Beispiel, daß die Flasche aus dem 46. Fass der 4. Brennerei stammt, und wenn man das Vereinsblatt studiert, kann man aus den versteckten Hinweisen kombinieren, dass es sich dabei um Highland Park handelt.
Aus dem Vereinsblatt erfährt man auch, dass die Franzosen mehr Scotch im Monat trinken als Cognac im Jahr, und dass Königin Victoria jeden Tag einen „wee dram“ in ihren Tee geschüttet habe. Ein „wee dram“, das ist ein kleiner Schluck Whisky, kein geeichtes Maß – es kommt auf die Großzügigkeit des Gastgebers an. Bei der Scotch Malt Whisky Society erhält man den in Pubs üblichen Fingerbreit, aber der „Members' Room“, wie es auf dem Messingschild an der Tür heißt, ist alles andere als ein gewöhnlicher Pub: ein hoher Saal mit Kronleuchtern und einem dicken Teppich. An der schmalen Seite befindet sich ein Kamin, daneben zwei schwere, grüne Sessel, ein Sofa, in der Ecke eine Chaiselongue. In der Mitte des Raumes steht ein langer Holztisch, groß genug für 18 Personen. Ein Club aus den dreißiger Jahren für Gentlemen, so ist der erste Eindruck. Zehn Prozent der Mitglieder seien Frauen, betont Sibh Megson.
Neben der Bar liegt ein dickes Gästebuch, in dem Besucher sich verewigen und Bemerkungen abgeben können. „Hier könnte man sich direkt an Whisky gewöhnen“, schrieb ein Werner aus Wattenscheid. Es ist ruhig um die Mittagszeit, aber keineswegs leer. Eine Gruppe von Geschäftsleuten nimmt Sandwiches ein, der Kaffee ist kostenlos. Wenn man aus dem Fenster schaut, sieht man ein hässliches Wohnsilo aus den 60er Jahren, wie es so viele in Leith gibt, dem Hafen von Edinburgh mit seinem winzigen Rotlichtviertel.
Die Scotch Malt Whisky Society residiert dagegen in einem wuchtigen Bau aus unbehauenem Stein: The Vaults heißt es, das Gewölbe. Es ist das älteste Gebäude in Leith, und bis 1983 war es das älteste Lagerhaus Schottlands, das noch seinem ursprünglichen Zweck diente – der Lagerung von Wein. Wer die „Vaults“ gebaut hat, steht nicht fest, aber man vermutet, dass es die Mönche der Holyrood-Abtei waren. In ihren Annalen ist am 27. März 1439 die Rede von einem solchen Gebäude. Ein Großteil von Leith wurde bei den Überfällen des Grafen von Hertford in den Jahren 1544 und 1547 zerstört. Da das Gewölbe unterirdisch lag, überstand es die Angriffe unversehrt. 1580 wurde ein einstöckiges Gebäude, der Auktionsraum, über dem Gewölbe errichtet und in den folgenden Jahrzehnten immer wieder umgebaut und erweitert. Das Gebäude in seiner heutigen Form stammt aus dem Jahr 1785. Es gehörte damals der Thomson-Familie, die noch immer in Edinburgh mit Wein handelt. Der frühere Auktionsraum beherbergt heute ein exklusives Restaurant, „The Vintners Room“.
Richard Mohan hat inzwischen zwei Whisky Nr. 36.13 bestellt, also aus dem 13. Fass der 36. Brennerei, die „im höchsten Ort der Highlands liegt und nach ihm benannt ist“. Tomintoul? Wenn man jetzt die schottische Geografie beherrschte. Jedenfalls soll er nach „künstlichen Himbeeren, dann Marshmallows und poliertem Holz“ schmecken. Gibt man Wasser hinzu, entfalte sich „Bubblegum mit einer leicht wachsigen Note“. 17 Jahre ist der Whisky alt, das Fass hat 216 Flaschen ergeben, jede kostet umgerechnet 140 Mark. Das ist der Whisky wert, meint Richard und fragt: „Verstehst du nun, warum auf manchen Inseln noch heute Neugeborene mit Whisky getauft werden?“
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