: Unter Verbrechern
■ „2 1/2-Z-W., EBK, DB, HH 50, NKM 800, + BK / Kt. / Ct. RDM“: Auf Wohnungssuche mit Greta Eck
„Rüdiger, ob da meine Einbauküche hinpaßt?“ Die geschminkte Endzwanzigerin zupft ihren Lebensabschnittbegleiter am Ärmel. Der zückt prompt einen Zollstock und hält ihn wie eine Machete gegen das Mauerwerk. Fast scheint's, als ob Rüdiger damit die Wände aufstechen will – meine Wände! Ich bin entrüstet! Obwohl, zustehen tut mir das nicht, schließlich gehört mir die Wohnung nicht.
Ich darf sie mit 50 anderen Menschen nur anschauen, meine Traumwohnung: Altbau, oberstes Stockwerk, drei Zimmer, Holzfußboden. Außerdem kommt sie, Vermieter sei Dank, ohne den obligatorischen blau-grauen Teppichboden und die weiße Standard-Rauhfasertapete aus, die jeden Altbau zu einer naht- und kantenlosen Wohnschachtel verkleistert.
Doch vor der Anmietung der schönen Behausung steht ein Mann mit finanziellen Interessen, ein Wohnungsmakler. Während er schmerbäuchig mittendrin stehend die potentiellen MieterInnen ruhigen Auges begutachtet, die Frauen übrigens gründlicher als die Männer, hält er, unter den Arm geklemmt, eine schülerhafte Ausführung eines Schreibmäppchens fest.
Schon vor dem direkten Wohnungsbesuch mit Maklerassistenz liegt für Wohnungssuchende stets zähe Arbeit. Die Zeitung wird bereits frühmorgens gekauft und gewissenhaft mit Rotstift-Markierungen versehen. Die Wohnung in „TOP-LAGE!! Jenfeld“ oder der „Winkelwalmdachbung. in Holm-Seppensen mit Do'garg.“ – vermutlich eine handwerkliche Finesse! – bleiben unumrandet. Einen roten Rahmen hingegen bekommt: „2 1/2-Z-W., EBK, DB, HH 50, NKM 800, + BK/Kt./Ct. RDM“.
Der Morgen vergeht mit dem Abhören telefonischer Besetzt-Zeichen. Ab Mittag werden die Leitungen durchlässiger, endlich kann ich die Wohnungsanbietenden bitten, ihre Abkürzungen aufzuschlüsseln. Manche Makler aber finden Fragen zum „Objekt“ grundsätzlich impertinent: „Hören Sie mal, in der Anzeige steht die Adresse drin, da können Sie sich das Haus ja wohl angucken gehen!“
Manchmal erhalte ich aber auch Antworten, beispielsweise auf die Frage, ob die Wohnung in einem Alt- oder Neubau gelegen sei. Hier eine Auswahl: „Das kommt darauf an.“ „Sowohl als auch.“ „Auf jeden Fall vor dem Krieg erbaut.“ Vor welchem, hake ich nach, daraufhin wird der Makler böse: „Also, wenn ich das schon höre, wissen Sie.“ Darüber grüble ich heute noch. Präzise Antworten wie „Altbau, Baujahr 1963“ sind dagegen eine Seltenheit. Letztere Angabe legt im übrigen richtigerweise nahe, daß man mit Maklern nicht über den Begriff „Altbau“ streiten sollte.
Weitere Diskussionsthemen, die zu nichts führen, sind: „Toplage“, „Komfort“, „Abstand“. Mit „Souterrain“ ist ein Keller gemeint, hinter „ren.bed.“ (renovierungsbedürftig) verbergen sich blank liegende Elektro-Kabel und nicht vorhandene Spülbecken, Nachtspeicheröfen werden gern als „E-Heizung“ bezeichnet, und die „Lage für Weltoffene“ befindet sich in der Süderstraße, am Straßenstrich.
Unser schmierbäuchiger Makler ist ein hinreißend ehrlicher Mann: Die Wohnung hat tatsächlich drei Zimmer, wie inseriert, und die Frage nach dem Baujahr hatte er am Telefon fast richtig mit „Jungfrauenstil“ – eine künstlerische Sonderleistung – beantwortet.
Während Rüdiger die Höhe der Badezimmerdecke mißt, haben sich die übrigen 48 Menschen entschieden, die Wohnung mieten zu wollen. Nun zieht der Makler aus seinem Mäppchen die sogenannten Bewerbungsformulare, auf dem sich Interessierte schriftlich entblößen dürfen: Einkommen, Anzahl und Namen der Kinder, Hunde und Katzen, ohne Namens-, dafür aber mit Rassen-Angabe, bei Menschen wird die Rasse auch abgefragt, allerdings unter dem Stichwort „Nationalität“, Lohnpfändungen in Vergangenheit und Gegenwart, laufende Kredite, Schufa-Erklärungen sowie bestehende Schwangerschaften und eventuelle Sterilisationen – letzteres nur bei Frauen selbstverständlich. Während Rüdiger noch herumstochert, finden sich die ausgefüllten Bewerbungsbögen in der Makler-Mappe ein. Dann erklärt der rundliche Wohnungsvermittler die Einzelheiten: In ein bis zwei Wochen würden „die Gewinner“ der Wohnung angerufen werden. Und zur Geldübergabe, was er verbrämend die „Entrichtung der Maklercourtage“ nennt, müsse man dann noch kurz in sein Büro kommen: Mitzubringen sei „aber nur Bares. Und große Scheine“. Wahrscheinlich tragen kleine so auf.
Rüdiger habe ich eine Woche später wieder getroffen. Er notierte gerade die Maße der Abstellkammer, für die Gefriertruhe.
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