: „Unter 6 Prozent können wir uns nicht erlauben“
Verhandlungslösung im Druckgewerbe gescheitert/ Arbeitgeber rufen Schlichter an, IG Medien terminiert Urabstimmung ■ Von Walter Jakobs
Bochum (taz) — Die Tarifverhandlungen für die 270.000 Beschäftigen der Druckindustrie sind ergebnislos abgebrochen worden; die Arbeitgeber kündigten gestern an, als Schlichter den Präsidenten des Bundessozialgerichts, Heinrich Reiter, anzurufen. Die IGMedien will ein eventuelles Ergebnis der Schlichtung nicht abwarten, um die Streikbereitschaft ihrer Mitglieder zu beweisen: Am nächsten Mittwoch schon soll die Urabstimmung beginnen. Und die Gewerkschaft ist optimistisch, einen Arbeitskampf erfolgreich durchstehen zu können: „Jeder Abschluß unter 6% führte bei uns in den Betrieben zu einem Riesentheater. Das können wir uns nicht erlauben. Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt“. So beschreibt Konstantin Vox, stellvertretender Landesvorsitzender der IGMedien in NRW, die Lage in der Druckindustrie. Solche starken Töne aus gewerkschaftlichen Funktionärskreisen gehören gewiß zum Ritual jeder Tarifrunde, doch es scheint, daß die Tonlage in diesem Jahr die Gemütsverfassung von Millionen abhängig Beschäftigter ziemlich authentisch trifft. Jenen, die das bezweifelen, sei dringend ein Besuch in den Urabstimmungslokalen der ÖTV empfohlen. So bitter hat man nach einem Tarifabschluß selten reden hören. Bei einem entsprechenden Abschluß in der Druckindustrie klänge es dort wohl nicht anders. Die IGMedien fordern bisher 11%, das Arbeitgeberangebot liegt bei 3,3%. Die hohe Forderung begründet die Gewerkschaft, die selbst einräumt, daß „der konjunkturelle Höhenflug auch in der Druckindustrie abgebremst wurde“, mit der erwarteten Preissteigerungsrate von rund 4,5% und dem für 1992 kalkulierten Produktivitätszuwachs von rund 3,5%. Darüber hinaus will die IGMedien den „ Umverteilungsstau“ abtragen, weil die 80er Jahre, so hieß es in der Mitgliederzeitschrift, „ein Jahrzehnt zugunsten der Unternehmergewinne waren“. Dem halten die Arbeitgeber entgegen, in ihrem Angebot seien schon sowohl Produktivitätsfortschritt als auch ein Teil der Preiserhöhungen berücksichtigt. Einen Teil der Inflation habe schließlich auch die Gewerkschaft selbst durch den Abschluß 1991 in Höhe von sieben Prozent verursacht. Für die Buch- und Zeitschriftenverlage liegt inzwischen eine Einigung vor. Die sieht Lohnerhöhungen von 5,4% für die höheren Einkommensbezieher und 7,2% für die niedrigste Lohngruppe vor. Das liegt immer noch weit unter dem Zuwachs, den sich die oberen Etagen genehmigten. Um 12% steigen in diesem Jahre die Vorstandsgehälter im Verlagswesen, um 14 Prozent in der Papierindustrie. Als der Hauptvorstand der IGMedien jüngst über die Verhandlungen im Druckbereich debattierte, waren es vor allem die Delegierten aus den Betrieben, die angesichts der Ertragslage „ihrer“ Betriebe für Kampfmaßnahmen bei Angeboten von weit unter 7% plädierten. Für einen Streik glaubt sich die Gewerkschaft gut gerüstet. In der Druckindustrie wird es statt eines Flächenstreiks nadelstichartige Arbeitsverweigerungen geben, die verhindern sollen, daß die Arbeitgeber über streikbrechende Leiharbeiter umfangreiche Notausgaben herausgeben können. Die Erfahrung hat gezeigt, daß solche über Torblockaden nicht zu verhindern waren. „Wir bleiben während des Streiks im Betrieb“, so ein Gewerkschafter, „und legen die sensiblen Bereiche stundenweise still. Da könnte uns nur die Polizei rausholen, aber das trauen sich die Arbeitgeber sicher nicht“.
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