piwik no script img

Unstillbares Erbrechen

■ Nur vier Verfahren gegen die Polizei

Vor zwei Wochen machte das Anti-Rassismus-Büro auf den Skandal aufmerksam (s. taz v. 17.3.ff): Seit 1992 wird in Bremen mutmaßlichen Dealern auf der Polizeiwache das Brechmittel Ipecacuanha verabreicht, damit verschluckte Drogen zum Vorschein kommen.

Nach Angaben des Polizeiarztes Karl Heinz Männche flößte er das umstrittene Mittel, in Fachkreisen als „übel und unverhältnismäßig“ bezeichnet, etwa 400 Menschen ein. Mehr als 360 von ihnen kommen aus afrikanischen Ländern. Das Mittel kann zu Herzstörungen führen, zu unstillbarem blutigem Erbrechen und Durchfall, zum Kollaps mit nachfolgendem Tod. Ein 17jähriger Angolaner mußte vier Tage ins Krankenhaus, weil er nicht mehr aufhören konnte zu brechen.

Justizsenator Henning Scherf sprach sich gegen die offensichtlich routinemäßige Verabreichung des Mittels aus, Polizeipräsident Lüken sagte Untersuchungen zu. In einem Gespräch mit der taz zog gestern Justizsprecher von Bock und Polach Bilanz: Wegen des Verdachtes der Körperverletzung im Amt leitete die Staatsanwaltschaft vier Verfahren gegen den Polizeiarzt sowie Polizeibeamte ein.

Eine Überprüfung aller 400 Vorgänge lehnt die Staatsanwaltschaft ab. Sie geht davon aus, daß die Polizei selbst in den mehr als 130 Fällen, bei denen sie nach Eingabe des Brechmittels keine Drogen fand, nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit arbeitete. Schließlich habe sie das Mittel nur bei einem Verdacht eingesetzt, und den sieht von Bock und Polach schon bei einer Schluckbewegung des vorübergehend Festgenommen gegeben. Um in weiteren Fällen zu ermitteln, sei die Staatsanwaltschaft auf Strafanzeigen angewiesen.

Zu dem Mittel selbst, das in Hamburger Polizeistuben aufgrund von medizinischen Gutachten nicht zur Anwendung kommt, will sich der Justizsprecher nicht äußern: „Wir haben die Unterlagen aus Hamburg angefordert und werden das prüfen.“ Solange aber gelte die im Jahr 1992 für Bremen getroffene Anordnung, die „die Verabreichung von Ipecacuanha für prinzipiell geeignet“ erklärt.

dah

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen