: Unsterblichkeit ist keine Lösung
Mark Zurmühle inszenierte Leoš Janáčeks Lebenselixier-Oper „Die Sache Makropulos“ am Oldenburgischen Staatstheater
Das Leben unendlich verlängern zu können ist ein uralter Menschheitstraum, der gleichermaßen in Theologie, Literatur und Politik geträumt wird. Dem tschechischen Autor Karel Čapek ging es 1922 mit „Die Sache Makropulos“ nur um eine Krimikomödie, um die absurde Existenz einer – durch ein nur ihr bekanntes Lebenselixier – über dreihundert Jahre alt gewordenen, in ständiger Jugendlichkeit verharrenden Sängerin.
Der tschechische Komponist Leoš Janáček hat den Stoff 1926 im Alter von 73 Jahren als vorletzte seiner insgesamt neun Opern vertont. Theodor W. Adorno nannte seine ungewöhnliche Musik „exterritorial, aber in ihrer Konsequenz großartige Kunst“. Janáček sagte noch 1926: „Musik ohne Tonarten gibt es nicht.“ Und doch nähert sich seine sprachgezeugte, explosive Tonsprache durchaus den atonalen Ergebnissen Arnold Schönbergs.
Eine kafkaeske Testamentsauseinandersetzung umrahmt die Geschichte der 336-jährigen Sängerin Emilia Marty. Marty fühlt die Wirkung des Lebenselixiers zu Ende gehen und braucht Nachschub: Sie muss an das Erbe ran, das das Lebenselixier-Rezept enthält. Die Oldenburger Aufführung zeigt rundherum überzeugend, wie auch an kleineren Theatern Janáčeks komplizierte, selten gespielte Oper zu einem überzeugenden Ende gebracht werden kann.
Der Regisseur Mark Zurmühle vermeidet jeglichen „Interpretationsüberbau“ in Form von Symbolen und Zeichen, er erzählt die Geschichte um den höchst attraktiven lebenden Leichnam einfach, aber mit großer psychologischer Präzision in den Details. Das eröffnet ein reiches Tableau der Groteske und eines phantastischen Realismus, schwankt sozusagen immer dazwischen. Unterstrichen wird dieser Ansatz sehr wirkungsvoll von der einfachen, nur mit einem Blumenstoff verhangenen Bühne von Eleonore Bircher und durch Kostüme von Annette Pach, die den städtischen Charakter des in Prag spielenden Stückes unterstreichen.
An erster Stelle ist die Protagonistin Marcia Parks zu nennen, die die Emilia Marty zwischen Kälte und Hochmut und unzerstörter Menschlichkeit und Todessehnsucht sang. Bewegend istihre schleichende Verwandlung zur Greisin am Schluss: Plötzlich spürt sie die erlösende Kraft des Todes und verschenkt das Rezept an die junge, sie bewundernde Sängerin Christa, die es verbrennt. Christa starrt die verehrte Frau während des ganzen Stückes voller Trauer und Fragen an und wird so nach und nach zu einer zentralen Figur (ergreifend: Magdalena Schäfer).
Vital, ebenso traurig wie auch komisch sind die Männer, die Marty umgeben: Bernard Lyon als ihr enttäuschter Verehrer Jaroslav Prus; etwas angestrengt Peter Vincent als Prozessführer Albert Gregor; gesanglich sehr gut Tadeusz Galczuk als Kanzleiangestellter. Henri Kiichli gibt einen reichlich konfusen Rechtsanwalt; wunderbar dümmlich Jago Ramos als der in Christa verliebte Janek und Joachim Siemann als der alte spanische Graf, der sich an seine Liebe mit einer früheren Marty erinnert, bis man ihn in die Anstalt schleppt.
Ungemein kraftvoll und widerborstig erklang die blechbläserdominante Musik, die der Generalmusikdirektor Alexander Rumpf geradezu in Skulpturen meißelte, vital, ekstatisch, spröde und bizarr. Eine bemerkenswerte und bewundernswerte Aufführung eines ebenso rätselhaften wie originellen Stückes.
Ute Schalz-Laurenze
nächste Aufführungen: 15.4., 23.4., 2.5. und 8.5., jeweils um 19.30 Uhr