Unsere Sotschi-Vierbeiner: Ein Herz für Hunde
Einer der reichsten Russen will ein Adoptionsprojekt für einsame Bellos auflegen. Doch das angekündigte Tierheim gibt es gar nicht.
SOTSCHI taz | Sie sind allgegenwärtig, die Straßenköter von Sotschi. Wer durch die Olympiastadt bummelt, dem wird bald ein herrenloser Hund begegnen. Und wer sich via Twitter über die Spiele informiert, dem wird schnell auffallen, dass es von gefühligen Tweets über die olympischen Straßenhunde nur so wimmelt.
Oft ist da von Massakern an den Tieren die Rede, von Tötungsprogrammen, die die Stadtverwaltung initiiert haben soll, und von fiesen Hundejägern, die um des Kopfgelds wegen auf alles schießen, was vier Beine hat. Und seit der Freeskier Gus Kenworthy, Silbermedaillengewinner im Slopestyle, unweit des Pressezentrums in Krasnaja Poljana einen Wurf mit vier Welpen entdeckt und angekündigt hat, alles dafür zu tun, dass er die die Hunde mit nach Hause nehmen kann, werden in seinem Heimatland USA haufenweise Adoptionswünsche geäußert.
Einer der reichsten Männer Russlands hat nun angekündigt, ein Adoptionsprogramm anschieben zu wollen. Oleg Deripaska, in dem von der Geldpostille Forbes veröffentlichten russischen Reichenranking mit einem Vermögen von 8,8 Milliarden Euro auf Platz 14 geführt, will die Straßenhunde in einem Tierheim aufnehmen und von dort aus weitervermitteln.
Seit Mittwoch ist eine Facebookseite online, die über das Projekt des Oligarchen informiert. Der hat der BBC mitgeteilt, dass er ein großer Hundefreund sei, weil er in seiner Jugend selbst einen kleinen Köter von der Straße aufgelesen habe, den er dann als Haustier gehalten habe. Seine Stiftung Wolnoje Djelo hat 15.000 Euro für ein Tierheim springen lassen, heißt es auf der Seite. Für den Unterhalt sollen weitere 56.000 Euro pro Jahr fließen.
Die billige Imagepflege für den russischen Aluminiumkönig scheint sich auszuzahlen. US-Medien wie Fox News feiern Deripaska schon als Helden. Das ist der Mann von westlichen Medien nicht gewöhnt. Er hat am Bau des neuen Hafens von Adler ebenso mitgewirkt wie bei der Fertigstellung des olympischen Dorfs sowie der Erweiterung des Flughafens. Er ist einer jener Olympiagewinnler, wegen derer die Spiele so teuer geworden sind. Als korrupter Olympiaerbauer will er sich nicht bezeichnen lassen, die Geschichten über sein Herz für Tiere liest er gewiss viel lieber.
Dabei gibt es das Tierheim, von dem bei Facebook schon Bilder zu sehen sind, noch gar nicht. In Baranowka, einem kleinen Bergdorf auf den Hügeln, die sich direkt hinter Sotschi erheben, sollen die Hundegehege sein, so teilt es die Stiftung mit. Wer dort oben danach fragt, der blickt in staunende Gesichter. Niemand weiß etwas von Deripaskas Geschenk an die Hundefreunde dieser Welt. Dafür kennen sie ein anderes Tierheim. Hinter dem Dorf, an einem der Küste abgewandten Hang, seien 150 Hunde untergebracht, heißt es.
In Augenschein nehmen darf man das Tierheim nicht. Ein Milizionär achtet darauf, dass sich niemand den Hunden, deren Bellen von den Hängen widerhallt, nähert. Er lässt sich den Pass zeigen, macht ein Foto davon und fertigt eine Notiz an. „Ich muss das machen“, sagt er. „Hier kann nicht jeder einfach kommen.“ Fragen zu dem Tierheim beantwortet er nicht. Immerhin ist ihm zu entlocken, dass die Hundekäfige vom Magistrat der Stadt Sotschi aufgestellt wurden.
In Baranowka hat man sich an das Bellen gewöhnt. Seit zwei Monaten seien die Hunde hier, sagt der junge Mann, der vor dem Dorfladen steht. Hatte die Stadt nicht mitgeteilt, dass schon vor einem Jahr ein Tierheim eröffnet worden sei? „Da hat man vielleicht mit der Planung begonnen“, sagt der Mann.
Zu Beginn der Spiele hatte Dmitri Tschernischenko, der Chef des lokalen Organisationskomitees, genau das gesagt. Bei der Eröffnungspressekonferenz im Medienzentrum musste er sich aber auch über den Fragesteller wundern, der davon ausgegangen war, dass die Berichte über gezielte Tötungen stimmen. Von „Hundediskriminierung“ habe er nie etwas gehört.
Dann bestätigte er, dass man sich Sorgen gemacht habe über die wachsende Hundepopulation. Die Bauarbeiter, die in temporären Unterkünften untergebracht waren, hätten die Tiere mit Speiseresten angefüttert, so dass sich die Stadt entschlossen habe, ein Tierheim einzurichten.
Für Tschernischenko und die Stadt Sotschi geht es in diesem Fall nicht um das Wohl der Hunde. Ihnen ist vor allem wichtig, dass die Hunde weg von der Straße sind. Die Besucher der Spiele sollen keine Angst haben, dass sie angebellt oder gebissen werden. Dass nur noch wenige Hunde über die olympischen Anlagen streunen, habe auch mit der Heimreise der Fremdarbeiter zu tun. Für ihn ist das Problem gelöst. Und wer sich über das Tierheim informieren wolle, dem stehe es frei, es zu besichtigen, sagte Tschernischenko.
Wahrscheinlich hat er nicht damit gerechnet, dass sich wirklich jemand auf den Weg nach Baranowka macht. Dort oben, wo ein schäbiger Quadpark und ein Paintball-Parcours die einzigen Sehenswürdigkeiten sind, lachen die Männer, die vor der Bar des Ortes sitzen, als sie auf die Hunde angesprochen werden. „Ihr mögt Hunde in Deutschland sehr, nicht wahr?“, fragt er. Straßenhunde gehören für sie zum Alltag. Auch in diesem Moment schwänzeln zwei kniehohe Straßenmischungen um die Bar herum.
Ob sie glauben, dass in Sotschi Hunde umgebracht werden? Wieder lachen sie. „Von irgendwelchen Usbeken vielleicht, damit sie etwas zu essen haben“, sagt einer. Von Deripaskas Hundeliebe haben sie auch noch nichts gehört.
Aus dessen Firma Basowyj Element kommt auf die Frage, ob man das neue Tierheim besichtigen könne, eine ausweichende Antwort. Am 21. Februar wolle man der internationalen Presse die Pläne für das Heim vorstellen. Und auch über die Möglichkeiten von Hundeadoptionen solle da informiert werden. Ja, es gebe schon ein Tierheim in Baranowka. „Wir sind Nachbarn“, heißt es. Deripaskas Herz für Hunde ist vielleicht doch nicht ganz so groß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn