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Unsere Minni und ihre DDR

■ Alte LDPD-Größen tragen Wilhelmine Schirmer-Pröscher zu Grabe/ Ex-Parteichef Gerlach wettert am Grab gegen die FDP und das »Plattwalzen« des Sozialismus/ DDR als »Prinzip Hoffnung«

Berlin. Es ist ein Stück DDR, was hier zu Grabe getragen wird. Gesprächsfetzen künden von einer untergegangenen Welt. »Ja, der war Staatssekretär im Wissenschaftsministerium«, flüstert einer. »Von Übergangsgeld muß ich jetzt leben«, raunt ein Mann seinem Nachbarn zu, »das sind 850 Mark.« Etwa 100 Menschen haben sich gestern vormittag auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof zur Beisetzung von Wilhelmine Schirmer-Pröscher versammelt. Sie war Gründungsmitglied der LDPD, Ostberliner Gesundheitsstadträtin in den stalinistischen Anfangsjahren der DDR und bis 1989 Alterspräsidentin der Volkskammer. Am 2. März ist sie im Alter von 102 Jahren gestorben, als ältestes FDP-Mitglied Deutschlands.

Jetzt liegt sie gleich links neben Anna Seghers begraben. Dahinter der Stein von Johannes R. Becher, dem Autor der DDR-Nationalhymne. Die Trauerrede hält — ganz standesgemäß — das frühere stellvertretende Staatsoberhaupt: Manfred Gerlach, der ehemalige LDPD- Chef und stellvertretende Staatsratsvorsitzende.

Der alte Jargon kommt ihm ohne Stocken von den Lippen. Eine »konsequente Mitgestalterin der antifaschistischen Ordnung« sei die Verblichene — »unsere Minni« — nach dem Krieg gewesen. »Die DDR«, versichert der ehemalige Parteivorsitzende seinen letzten Getreuen, »war tatsächlich auch ein Prinzip Hoffnung.« Heute jedoch, klagt Gerlach, werde alles, was von ihr geblieben sei, »verteufelt und plattgewalzt«. Die LDPD habe man »zerschlagen«. Ihre »Konkursmasse« sei in den Händen der wirtschaftsliberal geprägten FDP. Trotzdem möchte Gerlach — der nach wie vor FDP- Mitglied ist — »Zuversicht« predigen. Die Ostdeutschen, fordert er, müßten »autonom« über ihr Schicksal entscheiden.

Am Grab findet sich niemand, der widerspricht. Die FDP-Fraktion hat ausgerechnet Gerhard Schiela entsandt, einen Stasi-belasteten Abgeordneten aus Treptow. Auch er spricht von »unserem Land«, wenn er die DDR meint. Die Republik habe, räumt er ein, dem selbstgesetzten »Anspruch« nicht genügt. Und sicher sei Schirmer-Pröscher »schmerzhaft gerührt« gewesen, daß 1989 »ihre Ideale untergegangen sind«. Aber, fügt der Abgeordnete hinzu, »wir alle wissen, wie schmerzhaft das Zusammenwachsen zwischen Ost und West ist«.

An diesem Grab findet es gar nicht erst statt. Die Parteispitze schickte einen Kranz, doch zu dem Begräbnistermin waren alle Westberliner Parteiprominenten verhindert. Carola von Braun hatte einen wichtigeren Termin, und der Charlottenburger Abgeordnete Otto Hoffmann, der eigentlich für die Fraktion reden sollte — der mußte überraschend nach Westdeutschland. Minni wird es verschmerzen. hmt

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