: Unscharfe Nachfolge
Nach seinem Rücktritt macht sich Gregor Gysi rar. Dafür drängt sich die Opposition ins Bild. Wowereit: Nichts Neues über Gysis Stasikontakte. Als Nachfolger wird PDS-Fraktionschef Wolf gehandelt
von STEFAN ALBERTI
Der PDS-Landeschef sitzt am Tisch vor den Kameras, der Fraktionsvorsitzende, seine Pressesprecherin. Der Mann, um den es geht, ist nicht da. Nicht jetzt, nicht drei Stunden später, wenn der Regierende Bürgermeister über ihn sagen wird, dass keine neuen Erkennisse über Stasikontakte vorliegen. Und auch für den Abend, wenn Fraktion und Parteivorstand seine Nachfolge bereden, ist er nicht angekündigt. Gregor Gysi, sonst Medienstar der PDS, macht sich am Tag nach seinem überraschenden Rücktritt als Wirtschaftssenator rar. Heute, am Freitag, will er sich äußern. Gestern überlässt er es Fraktionschef Harald Wolf, Fragen nach eigenen Ambitionen auszuweichen.
Andere nutzen die Gelegenheit, dass sich die Kameras im Abgeordnetenhaus drängen. Zum Ende der Pressekonferenz stellt sich erst CDU-Fraktionschef Frank Steffel, dann seine Grünen-Kollegin Sibyll Klotz vor die von der PDS geladenen Journalisten. Der eine spricht den Sozialisten die Kompetenz für die Wirtschaft ab und fordert eine neue Ressortverteilung, die andere erklärt den Senat für destabilisiert. „Die könnten das doch wenigsten draußen machen. Jetzt fehlt nur noch die FDP“, mosert PDS-Fraktionssprecherin Kati Seefeld. Kein Problem: Zwei Minuten später steht auch deren Fraktionschef Martin Lindner vor den Kameras.
Mit schmalen Lippen waren Wolf und Landeschef Stefan Liebich in den Raum gekommen. Nicht dass Wolf sonst viel lachen würde. Aber der Schock ist noch spürbar. Hoch habe Gysi die politische Messlatte in der Bonusmeilenaffäre angelegt, „zu hoch“, sagt Liebich. Für falsch hält er die Entscheidung, ein „ziemlicher Verlust“ sei das für die PDS in Berlin. Wolf will Gysi noch am Mittwoch telefonisch vom Rücktritt abgeraten haben.
Alle nötigen Erklärungen würden die beiden Chefs abgeben, hat Sprecherin Seefeld angekündigt. Nötig für wen? Denn die wichtigste Frage bleibt offen: Wer folgt auf Gysi? Wolf oder Liebich, auch wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion? Und bis wann? „Zügig“ ist die konkreteste Angabe. Wolf kokettiert mit der Aussage, dass ein Fraktionschef alles können, aber nicht alles machen muss. Kompetent und erfahren im politischen Geschäft soll der Nachfolger sein, ein drittes Kriterium folgt nicht – PDS-Mitgliedschaft ist für Wolf nicht zwingend notwendig.
Konkret nennen die beiden nur ein Datum: Wenn das Abgeordnetenhaus am 29. August erstmals nach der Sommerpause tagt, soll es den Nachfolger wählen. Davon geht draußen vor der Tür auch Christian Gaebler aus, parlamentarischer Geschäftsführer der Sozialdemokraten. Weil sowieso Ferien sind, soll Berlin bis dahin ohne Wirtschaftssenator auskommen.
Beide Koalitionspartner bemühen sich, Risse im rot-roten Bündnis zu bestreiten, lehnen eine Senatsumbildung ab. Wolf hält das Klima für nicht gestört, SPD-Landeschef Peter Strieder hat schon vorher gesagt, die Koalition funktioniere auch ohne Gysi. Dessen Rücktritt allerdings kritisiert er heftig.
Der Regierende Bürgermeister äußert sich am Nachmittag nach einer außerordentlichen Senatssitzung. Müde schaut Klaus Wowereit aus, erst kurz vorher ist er aus seinem Urlaub hergeflogen. Er weist Spekulationen zurück, wonach Gysi die Bonusmeilen nur als Vorwand nutzte und eigentlich wegen neuer Stasi-Enthüllungen zurücktrat. Nach der Überprüfung durch die Birthler-Behörde gebe es keine zusätzlichen Erkenntnisse.
Mehrfach will Wowereit schon seit Montag mit Gysi telefoniert haben, der Rücktritt sei als individuelle Entscheidung zu akzeptieren. In der Nachfolgefrage will er mitreden, von einer Koalitionskrise nicht wissen: Rot-Rot sei nicht von Einzelpersönlichkeiten abhängig. „Ich mache mir keine Sorgen über die Zukunft der Koalition, sonst würde ich nicht meinen Urlaub fortsetzen.“
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