: Unruhige Nächte
■ Vor wenigen Stunden hob sich in New York der Premieren-Vorhang für das „Bremer“Musical „Jekyll & Hyde“/ Die taz war bei einem Preview dabei
New York/Bremen. In diesen Stunden werden einige Herrschaften im fernen New York eine unruhige Nacht verbringen. Während wir uns die Zeitung zum Frühstückskaffee zu Gemüte führen, laufen zwischen Hudson- und East River gerade die Rotationsmaschinen mit brisanten Texten an. Es sind die ersten Kritiken über das neue Broadway-Stück „Jekyll & Hyde“, das der Hamburger Musical-Produzent Frank Buecheler nach Bremen importieren und ab Herbst 1998 im neuen 1.470-Plätze-Theater im ehemaligen Showpark-Gebäude am Richtweg zeigen will. Sind die Reaktionen negativ, werden noch viele unruhige Nächte folgen. Sind sie positiv, ist ein Riesensprung in Richtung Verwirklichung des Projektes gemacht und ist zugleich viel klarer, in welcher Form das Stück in Bremen über die Bühne geht.
Manhattan, Theater-District, 45. Straße. Ein Theater mit Plüsch und rotem Samt, einem lächerlich kleinen Foyer und einer breiten, aber unsäglich untiefen Bühne. 1.100 ZuschauerInnen sind zu einem der letzten von Dutzenden Previews gekommen, mit denen eine Produktion wie „Jekyll & Hyde“Broadway-tauglich gemacht wird. Eine Straße weiter hat das nicht viel genützt: Das Musical „Titanic“wird sich nicht nur Buechelers Voraussicht nach zu einem Nullsummen-Spiel, also zu einem Flop entwickeln. Dafür gehen gleich in der Nähe „Les Misérables“ins zehnte und „Miss Saigon“ins vierte Jahr. Immerhin 75 Dollar pro Karte war es den 1.100 ZuschauerInnen wert, sich schon mit der Rohfassung der Musical-Adaption von Stevensons Klassiker „Jekyll & Hyde“zu amüsieren und schon vor der Premiere ein Bild vom möglichen wirtschaftlichen Verlauf der Story zu machen.
Klar allein ist die Handlung. Der Autor Leslie Bricusse hat die Vorlage in eine Dreiecks-Romanze mit fatalem Ende umgebaut. So spiegelt sich der eifrige Forscher Dr. Jekyll, der in Selbstversuchen mit einem Psychopharmakon den Bösewicht Mister Hyde aus sich herausspritzt, in zwei Frauen: Im Upper-Class-Unschuldslamm Emma und in der charakterguten Hure Lucy. In der Jahrhundertwende-Szenerie, in der das Stück belassen ist und die außerdem von einem Chorpersonal und zwei Erzählern bevölkert wird, legte Bricusse den Grundstein für ein Charakterspiel mit einigem Format und zahlreichen Tiefenschärfen. Die Musik des unter anderem auch in Hollywood vielbeschäftigten Tonsetzers Frank Wildhorn zielt aufs Gleiche: Die orchestral instrumentierten Kompositionen halten eine Waage zwischen Pop-Ballade und Epoche-nahen Romantik-Zitaten. Die vier bis fünf für Solo, Duett und Trio komponierten Songs von Hit-Kaliber stechen in ihrer Eingängigkeit jedoch deutlich heraus – die längsten Musik-Strecken sind nach dem ersten Hören illustrativ, ohne abzurutschen, sind Nebensache zugunsten der großen Themen.
Schon deshalb steht und fällt die Show mit den drei Hauptrollen, und die sind am Broadway exzellent besetzt. Wieder und wieder unterbricht das Publikum den Preview durch Szenenapplaus, und vor allem der Jekyll/Hyde-Darsteller legt sängerisch wie spielerisch eine bemerkenswerte Leistung hin. Der technisch nicht spektakuläre, aber handwerklich souveräne Einsatz von schnell wechselnden Schiebe- und Hängebildern sowie Lichträumen (Regie: Robin Phillips) trägt außerdem dazu bei, daß der Bühne ihr Miniformat nicht mehr anzusehen und das Preview-Publikum schließlich zu US-typisch kurzen Standing Ovations hingerissen ist. Darunter auch Wirtschaftsförderer aus Bremen, die bei Ansicht temporeich bewegter Bühnenzüge ins Musical-Schwärmen zu geraten pflegen, obwohl ein jedes deutsche Stadttheater mindestens dem Potential nach mehrfach im Jahr einen derartigen Kulissenzauber entfachen könnte. Allein mit solcher Konsequenz klimpern oder brillieren nur die Musical-MacherInnen auf der Klaviatur alter Theatermittel. Und in Sachen Marketing sind diese En-Suite-Shows ohnehin konkurrenzlos.
Doch interessieren sich Hunderttausende für eine Bremer Produktion? Diese Frage läßt sich freilich nicht beantworten, weil kein Erfolg vollends planbar ist. Daß nach der New Yorker und der Londoner jetzt auch die deutsche Filiale des „Sunset Boulevard“in Niedernhausen bei Wiesbaden geschlossen wird, schreiben Szene-KennerInnen dem schlechten Marketing von Andrew Lloyd Webbers „Really Useful Group“zu.
Doch: „Auch ,Cats' in Hamburg hatte Startschwierigkeiten“, betont Buecheler, dem man zur Zeit zweierlei anmerkt: Den Druck, unter dem er in Sachen Bremen steht, und die Entspannung, daß das Hamburger Stück „Buddy“seines Firmenkonsortiums Neue Metropol nach zwei Jahren inzwischen deutlich schwarze Zahlen schreibt.
Darauf hoffen freilich auch die Stadt Bremen, vertreten durch die Hanseatische Veranstaltungsgesellschaft (HVG), und die Gruppe Korn, Korn und Arend als Eigentümerin des Gebäudes am Richtweg. Noch im Mai, so beteuern die Beteiligten, werde mit dem mehrfach verschobenen Umbau begonnen. Und noch in dieser Woche, so der Refrain weiter, soll auch die allerletzte Unterschrift unter das wuselige Vertragswerk gesetzt werden.
Wuselig, weil die Investitionen in Höhe von 45 Millionen Mark geradezu heillos mit dem Erfolg und den laufenden Mieten verstrickt sind. Im Schnitt beteilige sich die Stadt in den nächsten zwei Jahrzehnten mit 1,7 Millionen Mark jährlich an dem Projekt, zitiert HVG-Chef Michael Göbel entsprechende Entscheidungen der Wirtschaftsförderungsausschüsse.
Sind die 1.470 Plätze sechs- bis achtmal in der Woche zu 90 Prozent ausgelastet, zahlt die Stadt nichts und verdient statt dessen. Liegt sie, wie realistischerweise zu erwarten ist, zunächst bei 70 Prozent oder darunter, steigt die Zuzahlung. Und damit die Gruppe Korn, Korn und Arend ein bißchen mitschwitzt, wurde zwischen garantierter und erfolgsabhängiger Miete unterschieden. In jedem Fall soll Frank Buecheler nach zwei, drei, fünf oder acht Jahren „Jekyll & Hyde“eine zweite Chance bekommen.
Und an deren Nutzung will der schon bald stricken. Für den „Theaterproduzenten“(Buecheler über Buecheler) soll das Bremer Projekt das Tor zu anderen öffnen. Denn „Jekyll & Hyde“soll sich zu einem von vielen Profit-Centern einer gewissen „PACE Theatrical Group“mausern. Und die mischt bei einem vielen der 33 kommerziellen Musicals und Schaupiele am Braodway mit. Nur den Sprung nach Europa hat PACE noch nicht gewagt. Doch bevor diese Herrschaften dazu ansetzen, werden auch sie mit einiger Unruhe auf die ersten Kritiken der neuen Produktion „Jekyll & Hyde“warten. Christoph Köster
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen