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Unnötig gebohrt?

■ Zahnärztin der Körperverletzung angeklagt

Im „Zahnarztprozeß“ vor dem Auricher Landgericht hat die angeklagte 40 Jahre alte Medizinerin gestern bestritten, jemals gesunde Zähne behandelt oder Patienten bei der Abrechnung von Leistungen betrogen zu haben. Die Angeklagte hat damit am zweiten Verhandlungstag erstmals Stellung genommen. Die Anklage wirft ihr Betrug und fahrlässige Körperverletzung in insgesamt 46 Fällen vor.

In ihrer inzwischen geschlossenen Praxis in Norden soll die Zahnärztin von 1992 bis 1994 unter anderem Notfall-Patienten zu überflüssigen und teuren Behandlungen überredet haben. Kassenpatienten habe sie für Pflichtleistungen der Kasse die deutlich höheren Privatsätze in Rechnung gestellt. Einem Patienten habe sie 56.400 Mark für unnötige Überkronungen abgenommen. Einem anderen habe sie mit der Diagnose Karies völlig gesunde Schneidezähne abgeschliffen. Andere Ärzte hätten Arbeiten der Kollegin später korrigieren müssen. Ein Versuch der Aufsichtsbehörden, der Angeklagten die Zulassung zu entziehen, scheiterte 1994.

Eine nahezu heitere Note gab dem Strafverfahren eine Kontroverse zwischen Gericht und Angeklagter zur Frage „Ziehen oder Konservieren?“: „Ein Zahn, der drin bleibt, ist für Arzt und Patient immer attraktiver“, behauptete der Vorsitzende der Kammer, Richter Henning Schröder, unter Berufung auf allgemeine Erfahrung. „Ziehen ist doch viel weniger lukrativ“, meinte auch Pflichtverteidiger Heinz Höhn. „Stimmt nicht“, entgegnete die Angeklagte. Im Einzelfall müsse sie fürs gleiche Honorar „stundenlang“ am gefährdeten Zahn arbeiten.

Der am 24. Juli eröffnete Prozeß wird am 15. August fortgesetzt. An insgesamt 15 Prozeßtagen sollen nach den Planungen des Gerichts 43 Zeugen – darunter zahlreiche Patienten – sowie acht Sachverständige zu Wort kommen. dpa

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