GASTKOMMENTAR: Unklare Ziele
■ In Venezuela versuchte ein Teil der Militärs zu putschen
Der 84jährige Arturo Uslar Pietri hatte schon Ende vergangenen Jahres gewarnt: In der vermeintlich stabilsten Demokratie Südamerikas drohe ein Staatsstreich. Doch Parteien und Regierung wiegelten ab. Sie verwiesen darauf, daß der greise Schriftsteller in periodischen Abständen die politische Klasse kritisiere und das Gespenst eines Putsches an die Wand male.
Seit 1989 ist Carlos Andrés Pérez von der Partei der Demokratischen Aktion wieder an der Macht. Während seiner zweiten Amtszeit hat er sich vom nationalistischen Populisten zum Marktwirtschaftler gewandelt. Unmittelbar nach seiner Amtseinführung verkündete er ein wirtschaftliches Schockprogramm. Die logische Folge war der „Caracazo“ im Februar 1989: Nach drastischen Fahrpreiserhöhungen kam es zu spontanen Unruhen und Plünderungen. In den Armutsvierteln von Caracas kostete der massive Militäreinsatz Hunderte von Menschenleben.
Der soziale Unmut hat die Privatisierungseuphorie nicht bremsen können. Zahlreiche Unternehmen des breiten staatlichen Sektors stehen zum Verkauf. Für die Liberalisierung des Außenhandels erhielt Pérez viel Beifall aus dem Ausland, und das Wirtschaftswachstum des vom Golfkrieg profitierenden Öllandes lag 1991 bei acht Prozent — doch den meisten Venezolanern ging es immer schlechter. Nach dem Sinken des Ölpreises auf dem Weltmarkt klafft im Haushalt 1992 eine erhebliche Lücke. Sogar die staatstreue Gewerkschaft CTV rief im November zum Generalstreik auf.
Gewalt und Kriminalität steigen: An einem Wochenende wurden in der Hauptstadt 20 Tote gezählt. Die Universitäten sind seit Wochen geschlossen. Fuigeroa, Vorsitzender des Studentenverbandes, warnte die Regierung: Wenn sie ihre Politik nicht ändere, komme es zu einem Aufruhr wie 1958, als der letzte Diktator gestürzt wurde.
Gestern nun haben sich Gruppen im Militär dem wachsenden Aufruhr angeschlossen. Die Ziele der Fallschirmspringer sind nicht klar. Nationalistisch-antiimperialistische Kritik verbindet sich mit dem Ruf nach Ruhe und Ordnung und dem Wunsch nach besseren Gehältern.
Offenbar scheiterte der Putschversuch. Doch die politische Lage in dem für die USA wichtigen Land scheint brisant: Sollten die Putschisten in Zukunft Unterstützung von Teilen der Parteien und Interessengruppen erhalten, könnte die Stabilität der politischen Demokratie in Venezuela wirklich in Gefahr geraten. Nikolaus Werz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen