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Archiv-Artikel

Ungewisse Zukunft

FLÜCHTLINGE Almedina H. ist Jahrgangsbeste an ihrer Schule, Vorbild für gelungene Integration. Trotzdem weiß die 18-Jährige nicht, ob sie in Deutschland bleiben darf

Jeden Tag habe das Mädchen mit dem Vater damals für einen Schulplatz im Sekretariat gesessen

VON ALKE WIERTH

Ziemlich vieles in ihrem Leben ist für Almedina H. ziemlich unvorhersehbar. Auch, was in dieser Woche, in der das Schuljahr endet und die Sommerferien beginnen, auf sie zukommt, weiß die 18-Jährige noch nicht. Dabei fängt die Woche für die Noch-Zehntklässlerin richtig gut an: Heute, am Montag, gibt es an ihrer Oberschule Zeugnisse für ihre Klassenstufe, die die Sekundarschule ohne Oberstufe jetzt nach dem Mittleren Schulabschluss (MSA) verlässt. Almedina ist die Jahrgangsbeste ihrer Stufe: sowohl in den MSA-Prüfungen wie bei den normalen Zeugnisnoten.

Das ist ein Riesenerfolg – für die Schülerin ebenso wie für ihre Schule, die Willy-Brandt-Schule im Wedding, die das Mädchen erst seit 14 Monaten besucht. In den acht Jahren davor ist sie in Bosnien zur Schule gegangen. Dorthin war sie mit Mutter und Schwester 2004 aus Deutschland abgeschoben worden. Die Eltern waren 1992 als Kriegsflüchtlinge nach Baden-Württemberg gekommen, ihre Töchter wurden dort geboren.

Deswegen ist Almedina jetzt nur geduldet in Deutschland, mit jeweils nur für drei bis sechs Monate befristetem Aufenthalt. Und deswegen ist für sie auch so vieles unvorhersehbar: Das Zeugnis ist toll, und mit ihren guten Noten hat Almedina auch schon einen Oberstufenschulplatz gefunden – sie will Abitur machen, dann Journalistin oder Polizistin werden. Doch wird sie den Schulplatz auch antreten können? Eine Duldung ist laut Aufenthaltsgesetz nichts weiter als die „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“. Die kann jederzeit kommen.

Silke Lehfeld ist Almedinas Klassenlehrerin. Sie ist sauer, dass Almedina die Abschiebung droht. An der Weddinger Schule, erzählt sie, gebe es viele SchülerInnen in solchen schwierigen Aufenthalts- und damit Lebenssituationen. „Die meisten turnt das total ab“, so die Lehrerin für Deutsch und Deutsch als Zweitsprache. „Oft sehen sie kaum einen Sinn darin, überhaupt noch zur Schule zu kommen.“ Umso stolzer ist sie auf Almedina: „So einen Fleiß, so ein Durchhaltevermögen in dieser Lage erlebe ich zum ersten Mal.“

Sie hat das Mädchen schon vor der Aufnahme in ihre Klasse im April 2012 kennengelernt. Im Januar vergangenen Jahres war Almedina nach Berlin gekommen und musste sich als Flüchtlingskind dann selbst einen Schulplatz suchen: Jeden Tag habe das Mädchen mit dem Vater damals im Sekretariat gesessen, erinnert sich die Lehrerin: „Bis es geklappt hat.“ Almedina kam damals zunächst in die achte Klasse. Wenige Monate später konnte sie die neunte überspringen.

Vater Semir hat Almedina und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Aldina Anfang 2012 nach Deutschland zurückgeholt. Wegen der Abschiebung unterlagen die beiden Mädchen zuvor einer Rückreisesperre. Man sieht dem Vater den Stolz auf seine zwei Töchter an. Aldina möchte mal Krankenschwester oder Ärztin werden. Hier hätten sie bessere Chancen, solche Zukunftspläne zu verwirklichen, sagt ihr Vater.

Alles falsch gemacht

Dabei ist er es gewesen, mit dem die Aufenthaltsprobleme für die Familie begonnen haben: indem er alles falsch gemacht hat, gerade weil er alles richtig machen wollte. „Mit eigenem Geld“ sei er 1992 nach Deutschland gekommen, erzählt der gelernte Handwerker, „sechs Tage später habe ich eine Arbeit gehabt und seitdem war ich nie einen Tag arbeitslos“. Was H. auch nachweisen konnte, als er sich um einen längerfristigen Aufenthaltstitel bemühte. Für die deutschen Behörden war das allerdings ein Grund, ihm keinen Aufenthalt zu gewähren: Als Flüchtling hätte er gar nicht von Anfang an arbeiten dürfen. Er wurde 2001 als Erster der Familie abgeschoben. 2009, nach Ablauf seiner Wiedereinreisesperre, kam er zurück. Jetzt hat H. Arbeit und einen ordentlichen Aufenthaltstitel.

Damit kann er Pläne machen: etwa den Sommerurlaub in Bosnien, den er in den nächsten Tagen antreten möchte. Dort leben noch Almedinas Mutter und zwei jüngere Geschwister. Ob Almedina und ihre Schwester in den Urlaub mitfahren, gehört noch zu den vielen Unvorhersehbarkeiten in ihrem Leben. Weil sie nur geduldet sind und jederzeit abgeschoben werden können, brauchen sie, um Berlin zu verlassen, eine Sondergenehmigung. Und ob die erteilt wird, ist noch ungewiss.