: Ungarns KP verläßt gemeinsamen Kurs
■ Ungarische Kommunisten verweigern Unterschrift unter Erklärung der osteuropäischen KPs Reformer Pozsgay will Staatspräsident werden / Christdemokratische Partei gegründet
Budapest (ap/dpa) - In einem bisher einmaligen Vorgang hat die ungarische Delegation dem Schlußkommunique einer außenpolitischen Tagung von ZK-Sekretären zwölf kommunistischer Parteien im bulgarischen Varna die Unterschrift verweigert, weil dieses nach ihrer Ansicht ungerechtfertigte Angriffe auf die Bundesrepublik enthält. Wie die ungarische Nachrichtenagentur MTI berichtete, erklärte der ungarische ZK-Sekretär für internationale Fragen, Geza Kotai, seine Delegation könne den Anschuldigungen von „Revanchismus“ und „Neofaschismus“, die sich in gewissen Ländern ausbreiteten, nicht beipflichten.
Für Ungarn ist indes nach Ansicht des Reformpolitikers Imre Pozsgay der „historische Moment gekommen, um die Eintrittskarte nach Europa zu kaufen“. Pozsgay wies darauf hin, daß sich Europa nicht selbst als Einheit fühlen könne, „solange es die Einbeziehung der östlichen Staaten in das Europa der Zukunft nicht gibt“. In einem Interview mit dem österreichischen Rundfunk sagte Pozsgay am Samstag, er erwarte, daß die Reformer auf dem nächsten Parteitag der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (USAP), der am kommenden Freitag eröffnet wird, in der Mehrheit sein werden. Von den drei Tendenzen in der Partei werde der konservative Flügel der schwächste sein.
Die Grundfrage in Ungarn ist nach den Worten Pozsgays zur Zeit, ob die Reformen friedlich und ohne Erschütterung der Lebensbedingungen für die Menschen durchzubringen seien. In einem vom Österreichischen Fernsehen (ORF) ausgestrahlten Interview bestätigte Pozsgay, daß er sich bei den noch vor Jahresende stattfindenden Präsidentschaftswahlen für das Amt des Staatspräsidenten bewerben werde.
Die Zahl der neugegründeten Parteien in Ungarn steigt unterdessen weiter an. Am Sonntag konstituierte sich in Budapest die Ungarische Christlich-Demokratische Volkspartei. Bei den letzten freien Wahlen in Ungarn nach dem Zweiten Weltkrieg war ihre Vorgänger-Partei 1947 zweitstärkste im Lande geworden. Mit der Einführung des kommunistischen Einparteien-Systems wurde sie 1949 aufgelöst. Die neue Partei, die achte Neugründung von politischen Zusammenschlüssen in diesem Jahr, hat eine Mitgliedschaft von „mehreren Tausend“. An der Sitzung nahmen auch Vertreter westeuropäischer christdemokratischer Parteien teil.
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