Unfall bei Zirkus Krone in Osnabrück: Elefantenschinder dürfen bleiben
Ein Unfall mit Zirkuselefanten befeuert in Osnabrück eine alte Debatte wieder aufs Neue. Der Stadtrat hatte 2015 ein Verbot aufgestellt, doch dann wieder gekippt.
Ihre Banner hängen an dessen Zaun. „Circus, ein guter Ort für Tiere!“ ist eine der Botschaften. Die Demonstranten von der Gegenseite dürfen nicht so nah ran. Aber das macht nichts. Das Spalier, das Tierschützer Kai Seidel und seine Aktivisten rechts und links des Geländetors bilden, mit Botschaften wie „Artgerecht ist nur die Freiheit“ wirkt trotzdem.
Seidel und die anderen hätten auch ohne den Vorfall vom 4. Juli hier gestanden. An diesem Tag ging bei der Premiere des Osnabrücker Gastspiels des „Krone“-Programms „Evolution“ etwas schief: Zwei Elefantenkühe attackierten eine dritte, die stürzte in den Logenbereich. Ein Zuschauer wurde verletzt, andere flüchteten.
Viele Passanten solidarisieren sich. Manche von ihnen sind vorher an den engen Gehegen des „Krone“-Zoos vorbeigegangen. Haben Löwen auf Parkplatzasphalt gesehen, der kaum bedeckt ist durch Einstreu. Haben Elefanten gesehen, die unablässig mit Rumpf und Kopf von links nach rechts wiegen, ein von Transportanhängern umgebenes Außengehege, in dem es nichts gibt außer ein paar Sandhaufen und vertrockneten Ästen.
Kopfschaukeln aus Vorfreude?
Die Elefanten würden täglich beschäftigt, sagt Andreas Kielbassa, Marketingleiter von Zirkus Krone. Das Hin- und Herbewegen der Köpfe, auch Weben genannt, würden die Elefanten nur machen, weil sie sich so sehr auf ihren Auftritt freuen würden, erklärt Kielbassa.
„Für mich sind das Gefängnisse“, sagt Kai Seidel. „Der Stadtrat muss endlich ein Wildtierverbot beschließen!“ Zirkus Krone nennt Menschen wie Seidel in seiner Online-Broschüre „Wir lieben unsere Tiere“ „militant“ und „fanatisch“. Auch Andreas Kielbassa ist auf die Tierschützer nicht gut zu sprechen: Man habe mehrmals versucht, auf die Aktivisten und auch auf die Organisation Peta zuzugehen, doch die wollten keine Diskussionen.
Michael Hagedorn, Grünen-Fraktionschef
Die Stadt Osnabrück fährt zum Thema Wildtiere im Zirkus einen Schlingerkurs. 2015 beschließt der Rat, Zirkusbetrieben mit Wildtieren keine städtischen Flächen mehr zur Verfügung zu stellen. 2017 widerruft er das Verbot. Zwar hält er daran fest, „das Halten und Zurschaustellen von Wildtieren in Zirkussen abzulehnen“ sei und appelliert, „nur Zirkussen Flächen zu überlassen, die keine Wildtiere mitführen“. Aber das ist Kosmetik. Der Bundesgesetzgeber sei gefordert. Der müsse das Tierschutzgesetz aktualisieren, heißt es.
Peinlich für die Grünen
Michael Hagedorn, dem Fraktionschef der Grünen, ist das sichtlich peinlich, hat seine 2015 noch verbotsfreudige Partei den Rückzug von 2017 doch mitgetragen: „Solange sich die juristischen Rahmenbedingungen nicht ändern“, sagt er, „sind unsere Möglichkeiten als Kommune leider begrenzt.“ Hagedorn hofft, dass Zirkus-Wildtierhaltung „ein Geschäftsmodell der Vergangenheit“ ist. Bis sich von der gesetzgeberischen Seite etwas tut, kann die „Osnabrücker Herdbuch eG“, der Betreiber der Großeventfläche Halle Gartlage, den Ratsappell getrost ignorieren. Äußern will sich der Geschäftsführer dazu nicht.
Die Stadtrats-Gruppe Unabhängige Wählergemeinschaft (UWG)/Piraten, auf die der Verbotsbeschluss von 2015 zurückgeht, kritisiert die Herdbuch hart: „Schwer begreiflich“ findet Nils Ellmers, Ratsmitglied der Piraten, dass sie „ihre finanziellen Interessen über das Wohl der Tiere und Menschen gestellt hat“. Auch die Ratsfraktion von der Linken drängt darauf, Wildtier-Zirkusse in Osnabrück nicht mehr auftreten zu lassen.
Vorfälle wie der Elefantensturz von Osnabrück sind keine Seltenheit. Eine Studie der „Eurogroup for Animals“ von 2017 listet über 300 Zwischenfälle in Zirkussen auf, seit 1995 wurden dabei EU-weit 86 Menschen zum Teil schwer verletzt, 11 starben. Fast die Hälfte dieser Zwischenfälle ereignete sich in Deutschland, einem der letzten EU-Länder ohne Zirkus-(Wild-)Tierverbot.
Bei Wildtieren im Zirkus muss also nicht nur nach dem Tierschutz gefragt werden, auch nach der öffentlichen Sicherheit. Yvonne Würz, Biologin und Fachreferentin für Zoo und Zirkus bei Peta Deutschland, kommentiert den Osnabrücker Rückzug von 2017 so: „Enttäuschend! Über 100 andere deutsche Kommunen haben ein solches Verbot!“
Gerade geht wieder eine Familie durch das Spalier der Tierschützer. Sie wollten zwar eigentlich nur zum Flohmarkt. Aber ein Ticket für den Zirkus kaufen würden auch sie sich jetzt „ganz bestimmt“ nicht mehr, sagen sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste