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„Undogmatischer Marxist“

■ Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer nach 23 Jahren rehabilitiert / Einladung in Ostberliner Akademie der Künste signalisiert Einlenken der DDR–Kultur

Ost–Berlin (dpa) - Der Tübinger Literaturwissenschaftler Hans Mayer, der nach 15jähriger Lehrtätigkeit an der Universität Leipzig im Sommer 1963 in die Bundesrepublik gegangen war, ist am Dienstag zum ersten Male seit jener Zeit wieder in der DDR gewesen und hat in der Ost–Berliner Akademie der Künste einen Vortrag über Karl Kraus gehalten. Unter den rund 400 Zuhörern waren viele prominente Schriftsteller und Künstler aus der DDR. Der „undogmatische Marxist“, wie Mayer sich selbst unverändert sieht, war vor allem in den späten fünfziger Jahre in den kulturpolitischen Auseinandersetzungen in der DDR wiederholt offiziell angefeindet worden. Stephan Hermlin sprach von einem „Tag der Freude“ darüber, daß Mayer nach 23 Jahren wieder „unter uns“ sei. „Einige, aber längst nicht alle Freunde“, die er in der DDR habe, seien gekom men. Hermlin bescheinigte Mayer, in seiner Leipziger Zeit „Sozialisten mit undogmatischem Weitblick“ herangebildet zu haben. „So hat er sich um unsere Republik verdient gemacht“. Als Mayer die DDR verlassen habe, sei dies „natürlich in erster Linie ein persönlicher Entschluß“ gewesen, der jedoch „nicht ohne Zutun von Leuten“ zustande gekommen sei, denen die Kenntnisse und die Brillanz des Wissenschaftlers „Unbehagen“ bereitet hätten und die ihn „gern losgeworden“ wären. „Wir haben einen großen Verlust erlitten“, fügte Hermlin hinzu, der zugleich die Hoffnung aussprach, daß in der DDR bei der Publikation von wissenschaftlich– literarischen Arbeiten Mayers einiges nachgeholt werde. Es habe eine Zeit gegeben, in der sich die Leipziger Universität habe rühmen können, Persönlichkeiten wie Mayer und Ernst Bloch (der 1957 wegen seiner undogmatischen Ansichten zwangsweise emeritiert worden war) zu ihren Lehrern zu zählen. Mayer sagte im Gespräch mit westlichen Journalisten, sein Vortrag in der Ost–Berliner Akademie sei „ein großer Augenblick“ seines Lebens, mit dem sich eine Biographie abrunde. Die 15 Jahre in Leipzig seien für ihn sehr wesentlich gewesen. Er habe sich immer vorstellen können, wieder in der DDR aufzutreten. Für ihn sei klar gewesen, eine offizielle Einladung, wie sie nun durch die Akademie ergangen sei, anzunehmen. Als „einfacher Tourist“ habe er nicht kommen wollen. Der inzwischen 79jährige Mayer war nach seinem Weggang aus der DDR dort mit gehässigen Bemerkungen bedacht worden. In der DDR habe er, „ehe er dem Lockruf des Lastenausgleichs folgte“, lange Zeit „Qualitätsbegriffe verbreitet, die er auch nicht einen Deut zu ändern brauchte, nachdem er sich jenem von der Ford–Foundation finanzierten Literatenklub zur Verfügung gestellt hatte“.

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