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Underground

Karl Marx auf dem Hunderter, Engels auf dem Fünfzigmarkschein, Goethe auf dem Zwanziger – in den Thekenbergen südlich von Halberstadt lagern über 620 Millionen Geldscheine der DDR. Verpackt in 130.000 Beuteln ließ die sozialistische Notenbank, als letzten Akt ihrer Amtstätigkeit, die Banknoten in einer alten Schachtanlage einbetonieren. Das, so argumentierten die roten Staatsbanker, sei kostengünstig, umweltfreundlich und sicher. Die Alumünzen wurden eingeschmolzen, um Kronkorken oder Colabüchsen herzustellen.

Um für Junkers und die V2-Pläne der Nazis einen geschützten Produktionsplatz zu haben, mussten Häftlinge des KZ Buchenwald ein Stollensystem in den Sandstein der Thekenberge graben. 1945 besetzten die Amerikaner Halberstadt und sprengten die Schachtanlage teilweise.

In den Siebzigerjahren übernahm dann die Nationale Volksarmee das 115 Hektar große Areal. Viele Halberstädter mutmaßten, hier seien sowjetische SS-20 stationiert worden. Als das Neue Forum im Frühjahr 1990 den Zugang erzwang, konnte es keine eindeutigen Beweise dafür finden.

Nach der Wiedervereinigung übernahm eine Versorgungseinheit der Bundeswehr das Areal. Danach fielen die Stollen ans Bundesvermögensamt, das die Anlage für eine Million Mark an den Kölner Bauunternehmer Christian Kalvelage und dem Magdeburger Harald Wöhler verkaufte.

Der Kauf brachte die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Schwierigkeiten. Weil es keinen juristischen Status für den Stollen gab, in dem das DDR-Geld einbetoniert ist, forderten die neuen Besitzer Miete.

Um wenigstens noch etwas von der finanziellen Altlast zu haben, hielt die Bank zehntausende Serien der DDR-Noten zurück, um sie für Sammler limitiert in Umlauf zu bringen. Bis zu 215.000 Mark erzielte die komplette Scheinserie auf Auktionen.

Kalvelage und Wöhler verkauften 1996 die Schachtanlage für fünf Millionen Mark an Christian Triebler. Seitdem rankt um das Geldgrab ein großes Geheimnis. Es gebe praktisch keinerlei Hinweis, zu welchem Zweck sich Triebler die Stollen kaufte, sagt Gerhard Bieler, Rechtsamtsleiter von Halberstadt. Illegale Mülldeponie, Wehrsportübungen, Hehler- oder Drogenlager? Das Bernsteinzimmer? Oder doch das DDR-Geld?

Triebler, der mittlerweile seinen offiziellen Wohnsitz in eine Baracke auf der Schachtanlage verlegt hat, ist nie anzutreffen. Alle Jahre reicht er Nutzungsanträge ein: Mal soll Hightech, mal Schredderabfälle der Elektroindustrie gelagert werden.

Immer wieder seilen sich Abenteurer über Lüftungsschächte in die fünfzehn Meter tiefen Stollen ab, um nach dem DDR-Geld oder anderen Geheimnissen zu suchen.

Entwässerung, Belüftung und Unterhaltung kosten dem undurchsichtigen Triebler, der wegen nicht bezahlter Rechnungen von ehemaligen Geschäftspartnern mit Haftbefehl gesucht wird, jährlich zwischen einer halben und einer Million Mark.

Niemand weiß, woher der rätselhafte Eigentümer das Geld nimmt. Ein Gerücht besagt, dass Triebler die Schachtanlage bei einer Bank mit neunzig Millionen Mark als Gelddepot beliehen hat. Bestätigungen dafür gibt es aber, trotz eingehender Recherchen, nicht.

NICK REIMER

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