piwik no script img

Und grüße alle, die mich kennen Von Susanne Fischer

Wer das Grüßen erfunden hat, muß ein boshafter Mensch gewesen sein. Ich meine nicht das Guten-Tag-Sagen, wenn man sich gegenübersteht, das muß ja wohl irgendwie sein, wenn es mich nach meinem Umzug von der Großstadt auf das Land auch zutiefst verwirrte, daß man hier jedem, selbst beim Schützenfest, die Hand zu geben hat. Auch wenn sie 300 Hände haben und du nur eine, gehört sich das so. Doch es ist sinnvoll, dergleichen in Städten mit über 300 Einwohnern nicht zu praktizieren, wie alles andere, wovon man auf dem Dorf blöd wird.

Ich meine die „Und grüß' mir Tante Evi“-Grüße, die einem in der Kinderzeit von Tante Ida aufgetragen wurden. „Hast du mir nichts zu sagen?“ kontrollierte Tante Ida mich beim nächsten Treffen, und noch ehe man dreimal „Ich-äh-ich“ sagen konnte, war sie auch schon eingeschnappt. „Du hast es also vergessen!“ stieß sie hervor, in einem Tonfall, als hätte ich es versäumt, die Atombombe unter ihrem Bett zu entschärfen. Denn, logisch, hätte ich es nicht verschlampt, hätte Tante Evi zurückgegrüßt, was ich wiederum bei Tante Ida als erstes herauszusprudeln gehabt hätte, denn Wichtigeres als dieses tantenmäßige Hutziehen gibt es ja anscheinend auf der Welt nicht.

Die ganze Grüßerei ist eine inhaltsleere virtuelle Welt, neben der sich das Internet äußerst blaß ausnimmt. Wer da über welche Grußecken, untere Postkartenränder, beiläufige Telefonerwähnungen wie miteinander in Verbindung steht und zusammengebracht wird – wenn man sich das einmal als graphische Darstellung vorstellt, muß man sofort brechen. Denn das Phänomen ist mit der Tantengeneration nicht ausgestorben. Es gibt auch junge Menschen, die regelrechte Grußknoten darstellen, entfernte Freundinnen, die anrufen, um zu sagen, sie wollten jetzt mal sofort von Karla Müller grüßen, die habe ein Kind gekriegt und sei grad neulich im Supermarkt gewesen. „Wer ist Karla Müller?“ – „Karla Müller, na, die mußt du doch kennen, das war, nee, warte mal, das ist doch die Schwester von der Doris – von der soll ich dich übrigens auch, die hab' ich vor anderthalb Jahren im Schwimmbad – also die Doris, die damals mit dem Freund von deiner Cousine Sabine in der Judogruppe war. Ach, Sabine, habe ich ja neulich im Krankenhaus getroffen.“ – „Was?“ – „Ja, ist schon, warte mal, na, doch, vor vier Jahren war das, ich soll dich grüßen.“ – „Mit Sabine habe ich gestern gesprochen.“ – „Und? Läßt sie mich grüßen?“ Neulich ertappte ich mich sogar selbst dabei, wie ich ausgerechnet einem unsympathischen Fernsehreporter Grüße an einen mir im Grunde gleichgültigen Studienkollegen auftrug, um – ja was? Vermutlich doch nur, um mich wichtig zu machen.

Und da haben wir die drei Grundübel der modernen Welt ja schon beieinander: Medien, Wichtigtuerei und Grüße. Fußballspieler grüßen im Fernsehen ihre Fans, Politiker ihre Wähler. Ungegrüßt sollen wir nicht schlafen gehen. Als Gipfel tönt's aus dem Radio: „Ich grüße Udo, Doris, Sabine und Knuffi; Knuffi, alter Schwede, halt die Ohren steif! Und, äh, und grüße alle, die mich kennen.“ Also etwa sieben Leute. Ich aber grüße hier lieber Knuffi, Knuffel, Knuffke und alle, die mich nicht kennen und sowieso nie grüßen würden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen