piwik no script img

Unanständig albern

■ „Lazzo Mortale“ – Komödie über die Commedia dell'arte

Irgendwo bei Adorno hatte ich das gelesen – daß der Geist der Kunst sich rein nur in den clownshaften Momenten zeigt, denn erst dort wirft er sich weg.

Im Theater am Halleschen Ufer stellt jetzt Alberto Fortuzzi mit seinem Stück „Lazzo Mortale oder Das komische Schicksal des Domenico Biancolelli, genannt Arlecchino“ diesen Satz auf die Probe; er legt es auf das anarchische, sinnlose Lachen an. Der italienische Autor und Arlecchino- Darsteller hat sich als Formvorgabe die Commedia dell'arte ausgesucht, um im Rahmen dieser Form ein Stück aus der Geschichte eben dieser Form zu erzählen: das Schicksal des berühmten Arlecchino-Darstellers Domenico Biancolelli, der zu Zeiten Ludwigs XIV. von dem Wunsch besessen war, sich nicht mehr nur als Held dicker Weiber zu bescheiden, sondern ein Günstling des Sonnenkönigs höchstselbst zu werden.

Als Ludwig ihn eines Tages tatsächlich nach Frankreich holt, gerät der Provinzler jedoch in helle Panik, denn das Repertoire seiner Lazzi, jener derben Commedia- Zwischennummern, taugt nicht als Spaß für den König – für die Herrschaft in Paris sitzen derart deftige Witze zu tief. Indem er sich nun mit Ehrgeiz daran macht, die Commedia-Szenen zu perfektionieren, beginnt das unaufhaltsame Ende seiner Kunst. Die perfekte Improvisation ist ein Unding. Darum bleibt am Schluß der Schinderei auch kein virtuoses Spiel mehr übrig, sondern ein Stapel Papier: es ist ein Text, der nur noch Regieanweisungen enthält, mit dem der einstige Stegreifkomödiant nun um die Gunst des Königs buhlt.

Leichtfüßig spielt Fortuzzi den Arlecchino im traditionellen rhombisch-gescheckten Kostüm und Ledermaske. Großartig ist Andreina de Martin, die Biancolellis Frau spielt und auch die Partner in den Lazzi: einen zahnlosen Pantalone, der nach prallen Brüsten und runden Hintern giert; eine leichtgläubige Columbina, die die Treue ihres Arlecchino überprüft und ihn dabei listig ins Messer laufen läßt – bis sie selbst wieder auf ihn hereinfällt.

Weil nun das Törichte, das Unseriöse, das bloß Alberne, an das Fortuzzi appelliert, in dieser Commedia noch viel unanständiger sinnlos ist als etwa in den apokalyptischen Clownerien à la Beckett, die Adorno bei seiner wohlmeinenden Rettung der Komik im Auge hatte, habe ich schließlich den Geist nicht umsonst weggeworfen, sondern am Ende sehr gelacht und dabei an überhaupt nichts mehr gedacht. Andrea Kern

„Lazzo Mortale“ von Alberto Fortuzzi. Heute und morgen 20 Uhr, Theater am Halleschen Ufer, Hallesches Ufer 32, Kreuzberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen