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■ Unabhängig von „konjunkturellen Impulsen“ auf dem Arbeitsmarkt bringt der private Vermittler Maatwerk mit unüblichen Methoden Langzeitarbeitslose in Lohn und Brot. Die Niederländer verdienen selbst bestens daran. Ein fairer Deal?  Aus Berlin Henk RaijerHeadhunter für Verlierer

Anfangs war ich sauer“, sagt Otto Gutmann. Der Inhaber des Cafés „Sowohl Als Auch“ im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg fühlte sich „total überfahren.“ Eigentlich hätten er und sein Partner nur ein Vorgespräch vereinbart. „Wir wollten mit der Dame von Maatwerk überlegen, ob wir einen ihrer Kandidaten zum Einstellungsgespräch bitten“, sagt Gutmann. „Aber die hat den Kai gleich mitgebracht.“

Und der habe auf Anhieb nicht eben den besten Eindruck gemacht: „Für einen Job im Service viel zu schüchtern, meist hat die Vermittlerin für ihn geantwortet.“ Nein, verkaufen könne sich „der Kai“ nicht so gut, sagt Gutmann. Dennoch hätten sie entschieden: Gut, versuchen wir's. Aber in der Backstube.

War es der Ansatz, der sich von dem des Arbeitsamts unterscheidet? Oder die trotz aller Zurückhaltung doch erkennbare Motivation des Bewerbers? „Bei Kai Hilbig spüren wir, der will arbeiten“, stellt Gutmann heute, nach vier Wochen, fest. „Die Leute, die das Arbeitsamt vorbeischickte, hatten kein Interesse. Maatwerk wusste: Der Kai will, und er passt zu uns.“

Maßgeschneiderte Jobs für Menschen, die so leicht keine Arbeit mehr bekommen: Die Vermittlungsagentur Maatwerk („Maßarbeit“) aus Holland bringt jene unter, die keiner mehr haben will und die sich auch selbst nichts mehr zutrauen: Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Auftraggeber des privaten Jobvermittlers sind die Sozialämter. In Berlin hat das Sozialamt Wilmersdorf Maatwerk 1.424 Kandidaten zur Auswahl gestellt. Auflage: Innerhalb von 18 Monaten sollen 240 von ihnen eine Stelle haben. Die Frist läuft bis zum 31. Dezember, 201 hat Maatwerk bis Oktober geschafft.

„Die Zahlen waren nach einem Jahr nicht so hoch, wie wir nach den Erfahrungen anderer Städte erhofft hatten“, sagt Wilmersdorfs Sozialstadträtin Martina Schmiedhofer. „Aber immerhin sind 80 bis 90 Prozent länger als ein halbes Jahr in Arbeit.“

Die 6.000 Mark „Kopfgeld“ kassiert Maatwerk erst, wenn die Probezeit vorbei ist und der Kunde mindestens einen Zeitvertrag in der Tasche hat. Für das Sozialamt rentiert sich die Provision schon nach vier Monaten: Ein Leistungsempfänger kostet im Schnitt 1.350 Mark.

Das „Arbeit nach Maß“-Prinzip verlangt ein einfühlsames Einwirken auf Menschen, die jahrelang „auf Stütze“ waren und den Anforderungen des Arbeitsmarkts nicht mehr gewachsen sind. Maatwerk-Vermittler fragen ihre „Kunden“ in Diagnosegesprächen nicht nur nach persönlichen Daten und beruflicher Qualifikation. Sie erstellen ein Profil, das Motivation und Lebensumstände mit einschließt, Stärken und Schwächen, Wünsche und Hobbys berücksichtigt. Und dann Perspektiven für einen anderen als den erlernten Beruf aufzeigt.

Erst wenn Maatwerk ein detailliertes Bild vom Leistungsempfänger hat, kommt es zum entscheidenden Schritt: der Vermittlung – und zwar in eine reguläre Stelle ohne Lohnkostenzuschuss. Bedingt durch den Effizienzdruck arbeiten die Holländer nur mit Leuten, die arbeiten wollen. Mit einem wie Kai Hilbig.

Drei Jahre war Hilbig (27) ohne Arbeit, als er zu Maatwerk kam. Die brauchten ein weiteres Jahr, um den gelernten Metallfräser in Lohn und Brot zu bringen. „Baguettes zubereiten, verkaufen und die Arbeit am Tresen machen mir Spaß“, sagt Hilbig, „Fräsen war eigentlich nie mein Ding.“

Seine Vermittlerin und er hätten herausgefunden, dass er sich für die Gastronomie interessiert. In der Backstube, die dem Café „Sowohl Als Auch“ angeschlossen ist, verdient Hilbig 2.100 Mark brutto für 35 Stunden. „Mehr als Sozialhilfe sollte es halt sein“, meint er verlegen, „das war meine einzige Bedingung.“ Und Kollegen, „die einen nicht hänseln“.

Kai Hilbig war kein leichter Fall. Ein Jahr Aufbauarbeit und vier Bewerbungen hat es Marianne Ludwig gekostet. „Nach dem enttäuschenden Ergebnis der ersten Bewerbungsgespräche hatte er einen Motivationseinbruch“, sagt die Diplompädagogin. „Da hieß es analysieren und motivieren, bis sein Selbstwertgefühl stark genug war für den nächsten Anlauf.“ Die Devise ist:„Wie groß auch immer die Defizite eines Kunden sein mögen, wir kriegen ihn fit. Einzige Bedingung: Er muss wirklich wollen.“ Ludwig weiß, wovon sie redet: sie war selbst arbeitslos, als sie bei Maatwerk einstieg.

Ohne Klinkenputzen geht aber auch im Geschäft mit der Arbeitslosigkeit nichts: Maatwerk sucht gezielt nach „verdeckten Stellen“, die nicht übers Arbeitsamt vermittelt werden oder ausgeschrieben sind – um eine qualifizierte Konkurrenz für ihre Klientel auszuschließen. So mancher Geschäftsführer eines mittleren Unternehmens hat sich durch die Lobbyarbeit eines Maatwerkers eine Stelle „aufschwatzen“ lassen für Tätigkeiten, die seine Angestellten sonst in Überstunden erledigten.

Aktivieren und Motivieren heißt die Devise des Headhunters für Verlierer, der seit 1996 den deutschen Arbeitsämtern Konkurrenz macht und inzwischen in 24 Städten und Landkreisen Filialen unterhält. Jos Berends, Geschäftsführer des Bureau Maatwerk im niederländischen Helmond, wollte „nie wie Adia oder Randstad werden“, als er 1990 mit Maatwerk begann. Nicht auf Kosten von sozialen Absteigern den großen Reibach machen: „Als ich noch Sozialarbeiter war und mich von Staats wegen um Langzeitarbeitslose, Alkoholiker, Junks, Schuldner und psychisch Labile kümmerte, wollte ich meine Vision umsetzen“, sagt Berends (49). „Menschen, die ganz unten sind, davon überzeugen, dass auch sie etwas können.“ Es ging aber nicht.„Ich hatte bald festgestellt, dass ein Arbeitsamt nur verwaltet und weder die Zeit noch die Instrumente hat zu vermitteln.“ Seine Philosophie: „Du musst dir Zeit nehmen, die Leute kennenlernen, ihre versteckten Qualitäten zutage fördern und Arbeitsdisziplin einüben.“ Inzwischen hat er in fünf Ländern Europas über 300 Mitarbeiter und macht einen Jahresumsatz von 40 Millionen Mark. 1998 hat er eigenen Angaben zufolge über 10.000 erfolgreiche Vermittlungen verbucht.

Martina Schmiedhofer, Berends Auftraggeberin in Berlin, ist zuversichtlich, dass Maatwerk die 240 Vermittlungen bis Jahresende schaffen wird. Damit hätte sich die vereinbarte Provision von 1,6 Millionen Mark für Maatwerk gelohnt, und auch das Sozialamt Wilmersdorf hätte eine Million gespart. „Schließlich haben wir investiert, um zu sparen“, sagt die Sozialstadträtin. Aber es ist nicht nur das. Sie ist auch „fasziniert, dass Maatwerk unsere Problemfälle in Arbeit bringt, ohne dass Arbeitgeber mit Lohnkostenzuschüssen geködert werden müssen“.

Auch wenn ein erheblicher Prozentsatz nach einem Jahr wieder auf der Straße steht (siehe unten stehender Text), sind Schmiedhofer und Maatwerkerin Marianne Ludwig überzeugt, dass die Methode – die Abkehr von der Fixierung auf die berufliche Qualifikation – Langzeitarbeitslose befähigt, einen Neuanfang zu wagen.

„Für Kai Hilbig war Fräsen die falsche Berufswahl“, sagt Ludwig. Jetzt verdiene er nicht nur seine Brötchen in einer Backstube. „Ich bin auch sicher“, sagt Ludwig, „der passt dahin.“

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