Umworbene Spezies: Lehrer verzweifelt gesucht
Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsminister Tesch (CDU) will den Wettbewerb der Bundesländer um Junglehrer beenden. Seinem Land fehlen Pädagogen und Baden-Württemberg wirbt den Nachwuchs mit großen Anzeigen ab
Der Osten muss sich wieder hinten anstellen. Weil bundesweit die Lehrer knapp sind, droht dem Land Mecklenburg-Vorpommern der Verlust seines LehrerInnennachwuchses. In der Landeshauptstadt Schwerin und nicht nur dort wirbt das baden-württembergische Kultusministerium mit großformatigen Plakaten um die Nordlichter. "Sehr guten Morgen, Frau Lehrerin", heißt es da unter dem Landeswappen mit den drei Löwen. Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsminister Henry Tesch (CDU) ist darüber so unglücklich, dass er das Thema auf die Tagesordnung der Kultusministerkonferenz (KMK) gesetzt hat, die am Donnerstag und am Freitag in Stralsund tagt.
"Herr Tesch thematisiert das, weil er KMK-Präsident ist", sagt seine Sprecherin Johanna Hermann. Noch habe das Küstenland genügend Lehrer. Die Lehrerschaft sei jedoch überaltert, Nachwuchsprobleme zeichneten sich ab. Tesch wolle erreichen, dass sich die Länder besser untereinander abstimmen und so den Konkurrenzkampf um die jungen Lehrer entschärfen. Im eigenen Land wolle er den Lehrerberuf attraktiver machen.
Im vergangenen Jahr ist vielen LehramtsstudentInnen aus Mecklenburg-Vorpommern gar nichts anderes übrig geblieben, als ihr Glück anderswo zu suchen. 170 LehrerInnen bilden die Hochschulen pro Jahr aus. 100 hat das Bildungsministerium im vergangenen Jahr eingestellt. In der Regel seien es etwa 120, sagt Hermann. Mehr würden nicht gebraucht. Die GEW-Landesvorsitzende Annett Lindner sieht das anders: Mit der Landesregierierung sei ein "Einstellungskorridor" von 170 LehrerInnen pro Jahr vereinbart worden. "Den konnten wir nicht ausschöpfen, weil keiner hierher kommen wollte", sagt Lindner.
Dass eingestellt wird, ist offenbar ein Zugeständnis an die absehbare Überalterung. 37 Prozent der Lehrer an allgemeinbildenden Schulen seien über 50 Jahre alt, sagt Hermann. An berufsbildenden Schulen seien es sogar 50 Prozent. Weniger als ein Prozent der rund 12.000 Lehrer seien jünger als 30 Jahre, sagt die Lehrergewerkschaft GEW.
Von Zugeständnis ist zu sprechen, weil das Land aus Sicht des Ministeriums schon zu viele Lehrer beschäftigt. In den 90er Jahren sind die Schülerzahlen stark zurückgegangen. Ganze Schulen wurden geschlossen. Nach Angaben der GEW wurden 1992 mehr als 4.200 LehrerInnen entlassen. Um weitere Entlassungen zu vermeiden, einigten sich Landesregierung und GEW Mitte der 90er Jahre auf ein "Lehrerpersonalkonzept". Die Lehrer sollten bei entsprechenden Gehaltseinbußen nur noch Anrecht auf eine Zweidrittel-Stelle haben. Ist der Unterrichtsbedarf höher, kann die Stundenzahl individuell und zeitlich begrenzt aufgestockt werden. Flankiert wurde dieses Modell mit Regelungen zur Abfindung, zum Vorruhestand und zur Altersteilzeit.
Die Teilzeitregelung erschwert es aus Sicht des Ministeriums, der Gewerkschaft und des Landeselternrats, jungen Lehrern ein attraktives Angebot zu machen. Es könnten ja schlecht junge, neu eingestellte Lehrer auf 100-Prozent-Stellen gesetzt werden - neben altgediente Lehrer, die über viele Jahre aus Solidarität auf Gehalt verzichtet hätten, sagt die GEW-Landesvorsitzende Lindner. Hier gelte es, "sensibel zu handeln", sagt auch Ministeriumssprecherin Hermann.
Bildungsminister Tesch habe schon vor einem halben Jahr ein Junglehrerprogramm ins Gespräch gebracht, sagt seine Sprecherin. Am Dienstag setzte das Landeskabinett eine Arbeitsgruppe ein, die Wege suchen soll, den Lehrerberuf im Land attraktiver zu machen. "Wir sind zurzeit in der Ideensammlungsphase", sagt GEW-Chefin Lindner.
Diskutiert wird, ob Lehrer wieder wie in anderen Ländern verbeamtet werden sollen. Eine auf das Referendariat begrenzte Verbeamtung brächte Hermann zufolge ein höheres Gehalt für die Lehrer in Ausbildung mit sich. Schon in den Haushaltsjahren 2010/2011 wolle das Ministerium die Zeit zwischen dem Abschluss der Lehramtsstudiengänge im März und der Einstellung der Referendare am 1. August überbrücken. "Da hauen uns zu viele ab", sagt Hermann. Auch die Schulen könnten etwas tun, indem sie die junge Lehrer beim Umzug an ihren Dienstort unterstützten.
Die GEW schlägt vor, die Referendariatszeit als Berufserfahrung anzuerkennen, so dass die jungen Lehrer in eine höhere Gehaltsgruppe eingestuft werden könnten. Insgesamt sei es nötig, "dass endlich eine Perspektive gezeigt wird, wie die Leute aus der Teilzeit rauskommen", sagt Lindner.
Bei der KMK will Tesch seine Kollegen dazu bringen, eine "Stralsunder Erklärung" zu unterzeichnen. Dabei werde man sich wohl grob auf Kernpunkte einigen, sagt Hermann. Vor allem gehe es darum, die Ausbildungskapazität, -qualität und den Ausbildungsbedarf unter den Ländern besser abzustimmen.
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