Umstrittene Maßnahme gegen Corona: Kritik am Beherbergungsverbot

Seit letzter Woche ist es Einwohner:innen von Corona-Risikogebieten verboten, anderswo in Hotels zu übernachten. Viele Politiker:innen halten das für falsch.

Eine Mitarbeiterin eines Hotels, bereitet ein Hotelzimmer vor.

Wer darf hier noch übernachten? Hotelzimmer in Baiersbronn in Baden-Würtemberg Foto: dpa

BERLIN dpa/reuters | Die Kritik am Beherbergungsverbot für Reisende aus Coronarisikogebieten wird immer lauter. Zahlreiche Politiker:innen fordern eine Rücknahme der erst in der vergangenen Woche beschlossenen Regelung zur Eindämmung des Coronavirus. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) kündigten an, darüber auch am Mittwoch bei der Ministerpräsident:innenkonferenz zu reden. Derweil stellte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) Gastronom:innen und Hoteliers, die durch die Beschränkungen Verluste erleiden, zusätzliche Hilfen in Aussicht.

Der Präsident des Deutschen Städtetags, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung, sprach sich dafür aus, das Beherbergungsverbot für Reisende aus Coronarisikogebieten zurückzunehmen. Die Regelung sei „nicht durchdacht, da wird man noch mal rangehen müssen“, sagte der SPD-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag). „Denn wir haben keine Hinweise darauf, dass Hotels oder der Verkehr mit Bus und Bahn Hotspots sind. Die Hotspots entstehen ganz woanders.“

Die meisten Bundesländer hatten am Mittwoch das Beherbergungsverbot beschlossen. Es schreibt vor, dass Bürger:innen aus Orten mit sehr hohen Corona-Infektionszahlen bei Reisen innerhalb von Deutschland nur dann beherbergt werden dürfen, wenn sie einen höchstens 48 Stunden alten negativen Coronatest vorlegen können. Greifen soll dies für Reisende aus Gebieten mit mehr als 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Montag 2.467 Neuinfektionen in Deutschland. Damit steigt die Gesamtzahl der bestätigten Fälle binnen 24 Stunden auf 325.331. Die Zahl der an oder mit dem Virus verstorbenen Menschen klettert um sechs auf 9.621. Zuletzt waren mehrere Tage in Folge jeweils mehr als 4.000 neue Infektionsfälle registriert worden. Allerdings fallen die Daten am Wochenende häufig niedriger aus als während der Woche, da die Gesundheitsämter dann oft nicht alle Daten an das RKI übermitteln.

„Das müsste abgeräumt werden“

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte zum Beherbergungsverbot: „Da wurde ein Fehler gemacht, das müsste abgeräumt werden“ in der Süddeutschen Zeitung (Montag). „Keine Studie zeigt, dass das Reisen innerhalb Deutschlands ein Pandemietreiber ist. Ich löse mit diesen Regeln also kein Problem, weil es da kein Problem gibt.“

Die Grenze von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner:innen werde ohnehin in sehr kurzer Zeit an sehr vielen Orten in Deutschland überschritten werden, so Lauterbach. Viele Details der Regelung wirkten zudem willkürlich. „Wenn man Regeln wie diese trotzdem aufrechterhält, verliert man die Unterstützung der Bevölkerung für Regeln, die sinnvoll und wichtig sind.“

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller kündigte an, dass die Beherbergungsverbote bei der Ministerpräsident:innenkonferenz am Mittwoch noch einmal beraten werden. „Jetzt sehen wir bundesweit, wie die Zahlen (...) in allen Großstädten nach oben gehen. Beherbergungsverbote zum Beispiel zwischen Berlin und Brandenburg machen doch gar keinen Sinn“, sagte der SPD-Politiker am Sonntagabend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. „Wir haben Hunderttausende Pendler jeden Tag. Die begegnen sich im Einzelhandel, im Nahverkehr, auf der Arbeit. Und dann darf ein Berliner aber zwei Tage nicht im Spreewald übernachten. Das macht alles keinen Sinn.“

NRW-Ministerpräsident Laschet erklärte, sein Land habe eine entsprechende Regelung zwar verankert, aber nicht in Kraft gesetzt. „Wenn in einer Region etwas explodiert, muss man anders reagieren, als wenn Sie inzwischen in Deutschland 30 Städte und Kreise haben, die den entsprechenden Wert überschritten haben“, sagte er am Sonntagabend im ZDF-“heute-journal“. Wenn jeder sich frei testen lasse, damit er doch reisen könne, würden wertvolle Testkapazitäten nicht sinnvoll eingesetzt. „Wir sollten, finde ich, darüber noch mal reden.“

Hotelverband erwartet Klagen gegen die Regel

Kritik kam auch aus der Opposition. „Die pauschale Einschränkung der Freizügigkeit innerhalb Deutschlands empfinde ich als unverhältnismäßig“, sagte FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner der Welt (Montag). Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte der Zeitung: „Das geltende Beherbergungsverbot ist unlogisch, denn es verbietet beispielsweise Reisen von Berlin nach Brandenburg, aber nicht umgekehrt.“

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) erwartet noch in dieser Woche Klagen gegen das Beherbergungsverbot. „Ich gehe davon aus, dass hier in den nächsten Tagen Gerichtsverfahren anhängig gemacht werden“, sagte Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges am Sonntagabend im Bild-Gesprächsformat „Die richtigen Fragen“. Insbesondere das Übernachtungsverbot begegne erheblichen rechtlichen Bedenken.

Kanzleramtsminister Helge Braun verteidigte das Beherbergungsverbot dagegen. „Mecklenburg-Vorpommern hat als Ganzes eine Inzidenz von etwas um die 5 und Berlin über 60. Wenn es zu solchen Unterschieden im Infektionsgeschehen kommt, ist, glaube ich, ganz klar, dass jeder sich schützen will, und dann ist so was am Ende unvermeidlich“, sagte der CDU-Politiker am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. Das eigentlich Wichtige sei, dass die Städte unter die 50er-Grenze kommen, sagte Braun. „Wenn wir das schaffen, ist auch der Reiseverkehr kein Problem.“ Das Beherbergungsverbot sei deshalb eine „echte Notfallmaßnahme“.

Wirtschaftsminister Altmaier stellte Gastronom:innen derweil zusätzliche Hilfen in Aussicht. Er sagte im Bild-Gesprächsformat „Die richtigen Fragen“: „Wenn sich jetzt herausstellen sollte, dass für die Gastronomen, dass für die Hoteliers und für die Restaurantbesitzer wieder erhebliche neue Umsatzeinbrüche drohen, weil Menschen verunsichert sind und nicht kommen, dann bin ich als Wirtschaftsminister der Meinung: Wir müssen den Betroffenen mehr helfen.“ (...) „Ich möchte nicht, dass diese Familienbetriebe aufgeben und verschwinden und wir am Ende vielleicht nur noch Fast-Food-Ketten haben.“

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