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Umstrittene Drogenbilanz

■ Innensenator sieht Polizeierfolge, Geschäftsleute beklagen Ausbreitung der Szene

Widersprüchliches ist zu vermelden vom aktuellen Zustand der Drogenszene im Bremer Viertel. Während Innensenator Friedrich van Nispen gestern nachmittag mit einer statistischen Erfolgsbilanz des Kampfes gegen die Drogenkriminalität an die Presse ging, saßen am Morgen Geschäftsleute aus dem vorderen Steintor mit Polizei und BehördenvertreterInnen zusammen, um ihrer Empörung über die wachsende Konfrontation mit der offenen Drogenszene Luft zu machen.

„Wir haben hier eine sehr, sehr unerfreuliche Situation“, meint zum Beispiel Holger Hinze, Geschäftsstellenleiter der Sparkasse am Steintor/Ecke Fehrfeld. In dichten Trauben stünden seit Tagen Drogenabhängige vor der Sparkassentür und auch im Geschäftsraum. Hinze: „Unsere Kunden fühlen sich zunehmend belästigt, weit über 50 haben deswegen bereits ihre Konten bei uns gekündigt.“ Der Geschäftsstellenleiter hat dafür durchaus Verständnis: „Es ist schon ein dummes Gefühl, wenn man 1.000 Mark abhebt und vier bis fünf dieser Leute stehen hinter einem.“ Regelmäßig müsse er die Polizei rufen, um „Schlägereien in unserer Geschäftsstelle“ zu schlichten, „es ist unzumutbar“.

Ortsamtsleiter Hucky Heck, der die Versammlung moderierte, hat wenig Hoffnung auf eine schnelle Änderung der Situation: „Der zuständige Abschnittsleiter der Polizei hat erklärt, die Beamten seien mit dem Problem auch überfordert, sie könnten die Leute nur hin- und herschaufeln.“ Für nächsten Donnerstag hat Heck die Geschäftsleute und BehördenvertreterInnen erneut eingeladen.

Von „nachlassenden Beschwerden“, einer „weiter verbesserten Situation im Viertel“ und einer „Verkleinerung der offenen Szene“ berichtete unterdessen Innensenator Friedrich van Nispen bei der Vorstellung seiner „Rauschgiftbilanz 1993“. Um genau 18,2 Prozent seien die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz im vergangenen Jahr gegenüber 1992 zurückgegangen, statt 3.406 wurden nur noch 2.786 Delikte registriert. Diese Zahlen seien umso bemerkenswerter, als der Polizeieinsatz zur Bekämpfung der Drogenkriminalität im gleichen Zeitraum um über 20 Prozent gesteigert worden sei. Als Folge davon seien 1993 insgesamt 6.466 Personen überprüft worden (1992: 3.738).

Rund zwei Drittel der 2.186 Tatverdächtigen, die die Polizei 1993 ermittelte, waren Deutsche. Von den 798 Tatverdächtigen mit ausländischem Paß waren wiederum gut die Hälfte türkischer Nationalität, 17 Prozent stammten aus Afrika. In diesem Zusammenhang wies van Nispen darauf hin, daß die Zahl der Abschiebungen, die im Zusammenhang mit mutmaßlichen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz standen, von 98 in 1992 auf 106 im vergangenen Jahr stieg.

Als Erfolg verbucht van Nispen das harte Vorgehen der Polizei gegen Drogenprostituierte im Viertel. Insbesondere für auswärtige Freier und Prostituierte sei dadurch die Attraktivität Bremens gesunken, aber auch die Anzahl der bremischen Drogenprostituierten habe sich „erheblich verringert“.

Ähnliches gelte auch für den „Drogentourismus“, der mit der stärkeren Verfolgung der offenen Szene stark abgenommen habe. Einen Beitrag hätte dabei im vergangenen Jahr auch die Schließung von zehn Gaststätten (1992: 7) und vier türkischen „Kulturvereinen“ geleistet, in denen Drogenhandel beobachtet worden sei.

Für das laufende Jahr hat sich die Polizei ein verstärktes Vorgehen gegen das Dealen in der Straßenbahn, insbesondere im Hänger der Linie 10 vorgenommen. Drei Wochen lang habe es dort bereits gezielte Einsätze gegeben, bei denen über 100 Portionen Kokain sichergestellt worden seien, berichtete van Nispen. Schließlich müsse die Drogenberatungsstelle in der Bauernstraße als Anziehungspunkt der Szene „endlich verschwinden“. Und polizeiintern soll für das Viertel in Zukunft nur noch ein einziges Revier zuständig sein.. Bisher verläuft die Grenze zwischen den Revieren 6 und 3 mitten über die Sielwallkreuzung.

Van Nispens Erfolgsbilanz des Jahres 93 gegenüber 92 beurteilt Ortsamtsleiter Hucky Heck indessen skeptisch. Schließlich habe der letzte, „total verregnete“ Sommer die Ausbreitung der offenen Szene eher behindert, während sie im „Jahrhundertsommer 92“ vom Wetter sehr begünstigt worden war. Dirk Asendorpf

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