: Umkippende Gläser
Außendienst – nicht für alle!? ■ Von Kerstin Wiese
Kunst im öffentlichen Raum hat in Hamburg einen hohen Stellenwert. Seit 1981 existiert das Programm, das in seiner Kontinuität einmalig in Deutschland ist. Weit über hundert Projekte wurden bereits öffentlich gefördert. Eines davon ist Aussendienst, dessen zweite Phase derzeit läuft.
„Crack it:“ Mit dieser provokanten Aufforderung startete die Künstlergruppe Knowbotic Research ihren Beitrag zum Aussendienst. Hacker und solche, die es werden wollen, sind seitdem damit beschäftigt, einen Internetserver zu knacken und mit eigenen Inhalten zu besetzen. Sobald ein Raum erobert ist, wird er neu verschlüsselt und damit gegen den nächsten Angriff geschützt.
Das Projekt trifft den Nerv des Ausstellungskonzepts: Auch das Internet ist ein öffentlicher Raum. Allerdings wird dieser nur von einer Teilöffentlichkeit genutzt, und genau darum geht es den Ausstellungsmachern. Sie haben die Aufsplitterung der Gesellschaft in Lifestyle-Gemeinschaften beobachtet und zum Ausgangspunkt ihres Konzeptes gemacht.
Standen in der ersten Phase skulpturale Aspekte im Vordergrund, geht es nun um soziale Prozesse. Bildete damals der Stadtraum das Bezugsfeld, sind es diesmal spezifische Orte. Die Kunstwerke sollen von denjenigen rezipiert werden, die diese Orte ohnehin besuchen.
Julia Scher hat ihr Projekt z.B. in der Fernsehabteilung bei Brinckmann untergebracht. Sammler unter Beobachtung heißt das Werk, das auf mehreren Bildschirmen zu sehen ist. Die Künstlerin hat vier Sammler dazu gebracht, Webkameras in ihren Privaträumen zu installieren. Die Bilder werden nun dauernd übertragen. Spannend zu beobachten, wie die Kunden auf das Werk reagieren. Irritieren kann es schon, dass auf dem Bildschirm fast nichts passiert, aber zwischen den flimmernden Filmen links und rechts hat das Kunstwerk nur wenig Chancen. Wer nicht weiß, dass hier Kunst zu sehen ist, wird es kaum bemerken. Für alle aber, die wegen des Projektes herkommen, ergeben sich interessante Erlebnisse.
Ähnlich verhält es sich im Untergeschoss von C & A. Dort hat Katya Sander ein Kino aufgebaut. Gegenüberliegende Leinwände präsentieren eine Marktforschungsszene aus unterschiedlichen Perspektiven. Auf der einen Seite diskutieren Konsumenten über Produkte, auf der anderen beobachten Mitarbeiter die Diskussion. Die Kunden der Young-Fashion-Abteilung sollen angeregt werden, ihr eigenes Tun zu reflektieren. Viele werfen einen Blick ins Kino, aber kaum jemand verweilt länger dort. Auch hier bleibt es schwierig, dem hehren Kunstanspruch gerecht zu werden. Spannende Versuche sind die Projekte von Scher und Sander jedoch allemal.
Die übrigen Kunstwerke befinden sich draußen oder in eigens dafür angemietenen Räumen. Hier geht man extra hin, um Kunst zu sehen. Mit Witz und Poesie arbeitet Peter Dittmers „Amme“, eine Maschine, die man per Computerdialog dazu überreden kann, ein Glas Milch umzukippen. Das Projekt Sound aka space schließlich widmet sich dem Einfluss elektronischer Musik auf die Kunst. Galerie und Club stehen gleicherechtigt nebeneinander: Das Crossover wird erprobt.
bis 29.10., Infos im Kunstverein, Di - So 11 - 18 Uhr, Klosterwall 23
Sound aka Space, Di - So 13 - 20 Uhr, Bugenhagenstr. 5, bis 8.10
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