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Um den Verstand hicksen

Luft anhalten und bis tausend zählen: Der niederländische Choreograf Arthur Kuggeleyn und sein neues Stück „How to manage a hiccup“

In der Raucherecke des Schulhofs sagte mal einer, man müsse bei Schluckauf die Luft anhalten und bis tausend zählen. Wer dies überstehe, der bekomme ihn nie wieder. Diese Behauptung war nicht zu beweisen, denn niemand wollte es ausprobieren, selbst die härtesten Jungs der Clique schüttelten den Kopf. Wir Mädchen rauchten „Alte Juwel“ in tiefen Lungenzügen und bedachten den Schluckauftheoretiker mit verächtlichen Blicken. Der war klein, schmächtig und neu in der Klasse, seine Eltern arbeiteten im „Staatsapparat“. Kurz darauf schloss die Clique ihn aus, weil er sich geweigert hatte, Zigaretten in der Kaufhalle zu klauen. Er brachte es nicht, damals in Marzahn.

Arthur Kuggeleyn zieht ärgerlich an einer Lucky Strike. „Heute Abend sind die Mikrofone ausgefallen, und wir mussten während der gesamten Vorstellung ohne sie auskommen. Das ist doch Scheiße!“ Zum Glück waren es nicht die Videobeamer, die das Bild des Publikums an die gegenüberliegende Wand warfen und den Eindruck vermittelten, man sehe sich selbst in der Röhre. Kuggeleyn raucht auf Lunge, und in Sachen Schluckauf ist er um einiges glaubwürdiger als der ehemalige Mitschüler. Schließlich stellt der niederländische Choreograf nicht einfach nur wilde Behauptungen in den Raum, sondern füllt ihn mit bemerkenswert ironischem Körpertheater zum Thema Schluckauf.

Sein neues Stück heißt „How to manage a hiccup“, ist für zwei Tänzer, einen Schauspieler und einen DJ, und erzählt von den Tücken der Physiologie. „Der Schluckauf ist ein Vorgang, den du nicht kontrollieren kannst, eher kontrolliert er dich. Diese kleinen Kontraktionen im Bauch können dich fast um den Verstand bringen, wenn sie dich nicht mehr loslassen und du eine halbe Stunde hicksen musst.“

Kuggeleyn sieht den Schluckauf als „plötzliche Unterbrechung eines harmonischen Vorgangs“, der körperlichen Normalfunktion. Dies bewirkt etwas. „Der Körper verändert sich, bewegt sich, tritt aus der Normalität seiner akzeptierten Manipulation heraus.“

Also müht sich ein schmieriger Moderator mit Oberlippenbart (überzeugend psychopathisch: Roberto Garieri) am Mikro ab, hebt die Faust zum Gruß, brüllt „Fight“. Sein Kampf gilt dem Hicksen. In der nun folgenden „Show“ wird der Terror der üblichen TV-Unterhaltung in einer chaotischen Sex-and-Crime-Version persifliert, die vorgibt, den Schluckauf abzuschaffen. Man erfährt, dass das Zwerchfell bearbeitet werden muss, und wohnt einer Bauchdeckengymnastik der S-Klasse bei. Die beiden Tänzer (Sarah Duc und Lilo) unterstützen den Moderator, der das Zentrum der Geschichte ist, und setzen die von ihm ausgehenden verbalen Impulse in Körpersprache um, deren Bedeutung sich im Raum auflöst.

So bleibt dem Zuschauer die Aussicht auf das Ende des Schluckaufs zwar verwehrt. Aber ergötzen kann er sich an einer kraftvollen und spaßigen Off-Produktion, die Anstand und Sitte attackiert. JANA SITTNICK

„How to manage a hiccup“ und „Sticky couple“, Do.–So., jeweils 20.30 Uhr, Dock 11, Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg

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