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■ Ulrich Wickert zur Revolution der privaten Sender„Wir sind das kleine gallische Dorf“

Daß die ARD heute noch behaupten kann: „Bei uns sitzen Sie in der ersten Reihe“, verdankt sie ihrem täglichen Vorzeigemagazin aus Hamburg, den „Tagesthemen“, und seinem Anchorman Ulrich Wickert. 14 Jahre Korrespondententätigkeit in Washington, New York und Paris haben den 50jährigen Diplomatensohn weltoffen gemacht und seinen unnachahmlich feinen Humor geformt. Mit der bierernsten deutschen Glückseligkeit will „Mr. Tagesthemen“ absolut nichts am Hut haben. Er raucht nicht, trinkt nicht (viel), würzt seine Moderation liebend gern mit geschickt getarntem linkem Vokabular und wünscht die Kommerzsender sonstwohin.

taz: Guten Tag, Herr Wickert. Ich hoffe, Sie kennen die tageszeitung...

Ulrich Wickert: Na hören Sie mal! Die taz ist die Zeitung, die ich schon öffentlich in den „Tagesthemen“ hochgehalten habe. So gut kenne ich dieses Blatt. Es liegt bei mir auf dem Schreibtisch, weil ich es abonniert habe. Und ich sage Ihnen: Pflichtlektüre Nummer eins!

Das freut uns. Herr Wickert, die privaten Fernsehsender funken den öffentlich-rechtlichen Dinosauriern seit genau zehn Jahren mit stetig wachsendem Erfolg dazwischen. Die „Tagesthemen“ haben ihnen bisher standhaft trotzen können. Lüften Sie Ihr Geheimnis: Haben Sie einen speziellen Druiden aus Ihrer Walheimat Gallien unter Vertrag, oder woher kommt das?

Also gut, wir sind dieses kleine Dorf, das man kennt und das tapfer aller Unbill standhält. Natürlich haben wir einen Zaubertrank – hergestellt von vielen professionellen Druiden. Und wir haben Asterix und Obelix.

Wer ist Asterix, wer ist Obelix?

Das kann man sich überlegen, wer von uns beiden – Sabine Christiansen oder ich – Asterix und wer Obelix ist.

Darf ich tippen? Sie sind der mit dem Köpfchen (Asterix), und Frau Christiansen ist die mit dem Kopf im eigentlich praktischen Hinkelstein (Obelix).

No comment. Aber nehmen wir das mal als Vergleich.

Wünschten Sie dem Dorf noch einen Verbündeten?

Wenn können wir in unseren Hütten noch gut gebrauchen? Sie wissen ja, daß es immer wieder mal auch Miraculix gibt, der vorbeischaut und der immer wieder für gewisse Aufregung sorgt. So ist es auch bei uns, wenn er da ist. Den hätten wir gerne ständig unter Vertrag. Wir hatten vor einiger Zeit ein Streitgespräch in der Sendung, das ganze 17 Minuten dauerte, weil sich Herr Kinkel (FDP) und Frau Fuchs (SPD) so unglaublich geprügelt haben. Das war für mich wie der Besuch der Römer in unserem Dorf – herrlich! So etwas führt dazu, daß alle Leute sagen, meine Güte, diese Sendung, pardon, dieses Dorf muß man leider doch sehen.

Als Gott die Privaten erschuf, muß ihm etwas Revolutionäres vorgeschwebt haben. Was könnte es wohl gewesen sein?

Wissen Sie, Gott hat vieles geschaffen, ohne sich dabei Gedanken zu machen. Ich habe den Eindruck, daß er diese kühne Idee am Samstag abend hatte, als er sich dann doch mit den Menschen langweilte. Irren ist auch göttlich. Heute sind die Gottgläubigen entsetzt.

Politische Krawallsendungen à la „Einspruch“ (Sat.1) oder „Der heiße Stuhl“ (RTL)...

...sollten boykottiert werden. Ich rate allen Leuten davon ab, da hinzugehen. Ich selber würde dies auch nie tun. Für mich gibt es eine Schmerz- und Schamgrenze im Fernsehen. Die ist bei solchen Sendungen weit überschritten.

Aber Sendungen dieser Art haben bei den Privaten Hochkonjunktur und erzielen ungeahnte Einschaltquoten. Haben die Privaten besser drauf, wie man „diskutieren muß, diskutieren muß, diskutieren muß“ (Wickert über die Pflegeversicherung)...?

Ich höre aus den privaten Sendern, daß es immer schwieriger wird, Teilnehmer zu finden, und daß das Publikum bröckelt, weil es nicht dauernd Geschrei vorgesetzt haben möchte. Wie man richtig diskutiert, haben die Privaten insgesamt nicht gelernt. Obwohl ich sagen muß, daß „Talk im Turm“ auf Sat.1 wahrscheinlich die beste Talk-Show im deutschen Fernsehen ist. Sehr gut, gar keine Frage. Aber die wird von einem alten Hasen in unserer Sparte gemacht. Ein Glücksfall für die Mainzer. Sonst habe ich in keiner Sendung der Privaten – ich will da ganz arrogant sein – Interviews erlebt, wie ich sie führe: kurz, knapp, direkt, informativ.

Die Privatsender halten sich zugute, das „Infotainment“ eingeführt zu haben.

Was ist bitte Infotainment? Also, wenn Margarethe Schreinemakers „Infotainment“ ist, dann schlägt es zwar richtig ein. Ich halte das allerdings nicht für Infotainment, sondern für die gesendete Bild-Zeitung. DIe hat mit Nachrichten relativ wenig zu tun. Richtiges Infotainment will der deutsche Zuschauer gar nicht. Denn er möchte Nachrichten als Nachrichten präsentiert haben – seriös, glaubwürdig und sachlich. Das Interessante ist, daß vor zehn Jahren auch die Nachrichtensendungen von Sat.1 und RTL mit dem Begriff getönt haben und später feststellen mußten, beim Zuschauer kommt das in diesem Rahmen nicht an. Locker vom Hocker lief eben nicht. Jetzt passen sie sich mehr und mehr dem Stil von ARD und ZDF an.

Würden Sie Herrn Thoma einen Tip geben, wie er bessere politische Informationssendungen konzipieren sollte?

Ja, aber dann muß er mich einkaufen – und das wird teuer! Vorläufig behalte ich das Geheimrezept, den Druidensaft, für mich.

Könnte der RTL-Chef Sie denn abwerben?

Ich hatte ja gesagt, daß die Schmerzgrenze zu den Privaten immer größer wird. Im Moment wäre das für mich kaum denkbar. Ich kann mir allerdings vorstellen, daß die Zeit kommt, in der irgendwann seriösere Menschen in den Privaten seriöse Nachrichtensendungen nach den amerikanischen Vorbildern ABC oder NBC produzieren. Dann...

Sie sind unbestritten ein Mann vom nationalen Nachrichtendienst. Die „Möllemänner“ hätten sie gern auf ihrer Seite. Für wen spionieren Sie am liebsten und ganz ohne Gewissensbisse?

Für die französischen Käsehändler. Daß sie sich in Deutschland nicht durchsetzen konnten, ist wirklich ein Problem. Es hat wohl weniger mit den germanischen Papillen als damit zu tun, daß die Deutschen Angst vor Keimen haben und alles hygienisch sauber essen – so wie Verbandszeug.

Sie können neben den klassischen Weltsprachen doch auch Japanisch. Könnten Sie die Zuschauer nicht ab und zu multikulturell verabschieden? Oder „Das Wetter“ statt in drögem Deutsch vielleicht auf spanisch oder türkisch ankündigen?

Habe ich schon getan. Ich habe mich einmal auf japanisch verabschiedet und auch Türkisches von mir gegeben. Französisch wäre vielleicht was. Ich fürchte, die Sprachen würden zu wenige verstehen in unserem Land. Aber beim Wetter? Nun ja, das ginge nur mit Untertitelung. Wir haben das neulich bei einem Film, in dem lauter Schweizer redeten, ausprobiert. Klappte ziemlich gut. Wir werden den Gedanken prüfen!

Als Sie im Juli 1991 in die riesigen Fußstapfen von Hajo Friedrichs traten, nannte Sie unser aller Spiegel einen Mäusebussard. Welches (Arbeits-)Tier sind Sie heute geworden?

O je... – ein Nasenbär!

Warum?

Der sieht so komisch aus. Eine Wüstenratte könnte ich auch sein – Hauptsache etwas Exotisches mit Pelz, das verschmitzt guckt.

Ihre Botschaft an die privaten Schreiber bei der taz?

Weiter so! Ihr seid das Nachwuchsreservoir der Nation. Kaderschmiede taz! Interview: Franco Foraci

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