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Ulrich K. Preuß, Jura-Professor Bremer Uni und Mitglied des Staatsgerichtshofes

Gedenktage sind Einrichtungen kollektiver Erinnerung, in denen das öffentliche Gemeinwesen die Bedeutung eines Ereignisses (oder einer Person) für sich bekräftigt, wachhält und damit als unverjährbaren Bestandteil seiner Geschichte anerkennt. Auch wenn Gedenktage anfangs noch mit den persönlichen Erinnerungen der Zeitgenossen jenes Ereignisses durchwirkt sein mögen, so sind doch persönliche Erinnerung und öffentlicher Gedenktag scharf zu scheiden (woran es in diesen Tagen im Hinblick auf den 8. Mai 1945 fehlt). Im Gedenktag symbolisiert sich die Vorstellung davon, was öffentliches Gemeinwesen für bedeutsam hält und was es – unter Umständen auch gegen ein verbreitetes Bestreben zu vergessen – als Erinnerung an eigenes Versagen lebendig halten will. Gdenktage sind daher auch keine nationalen Feiertage.

Nirgendwo in der Welt, ganz gewiß nicht in Deutschland, kann die kollektive Erinnerung an die Vernichtung der Juden getilgt werden, auch wenn immer weniger Menschen eine individuell-persönliche Erfahrung mit diesem Ereignis haben können. Es ist ein Gebot der Selbstachtung, daß Deutschland als demokratisches Gemeinwesen die Last der Erbschaft seiner Geschichte zu einem unauslöschlichen Bestandteil seines kollektiven Gedächtnisses macht und angemessen symbolisiert. Ein Gedenktag ist dazu eine geeignete Form, auch wenn, ja vielleicht sogar weil er eine schmerzende Konfrontation mit den düstersten und abgründigsten Erfahrungen der eigenen Geschichte darstellt. Gegen diese Notwendigkeit verblassen die bekannten und z.T. durchaus respektablen Gründe gegen einen Gedenktag.

Welcher Tag? Das Datum des Gedenktages darf keine Zweideutigkeiten enthalten. Der 8. Mai ist zweideutig: nicht, weil er nicht etwa eindeutig der Tag wäre, von dem an es in Deutschland wieder möglich wurde, an republikanische und demokratische Traditionen anzuknüpfen und solche Traditionen neu zu begründen, sondern deswegen, weil die Idee aufkommen könnte, daß die Vernichtung der europäischen Juden durch die Deutschen mit der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg gewissermaßen abgegolten sei. Dieses Datum liefe Gefahr, zwei Ereignisse auf eine Stufe zu stellen und das Schicksal Deutschlands mit dem der europäischen Juden in einer grundfalschen Weise miteinander zu verknüpfen.

Der 27. Januar – der Tag der Befreiung des Lagers Auschwitz – ist der richtige Tag, weil Auschwitz das wohl grauenvollste Symbol für den Völkermord darstellt, der Tag der Befreiung zugleich aber auch die endliche Überwindung dieses Grauens darstellt und den Beginn eines neuen Lebens, in dem diese Erinnerung nicht ausgelöscht werden kann.

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