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Überstunden im SchulalltagGanz normale Mehrarbeit

In Hannover hat ein Schulleiter gegen das Land geklagt. Er wollte einen Ausgleich für seine Überstunden. Das Gericht wies seine Klage ab.

Immer mehr Aufgaben, immer weniger Zeit: Dagegen klagen 13 Lehrer*innen in Niedersachsen Foto: Elia Bianchi/dpa

Hannover taz | Seit zehn Jahren ist Frank Post Leiter einer Grundschule in Hannover. Und als solcher arbeitet er regelmäßig mehr als 50 Stunden in der Woche. Seiner Ansicht nach liegt das vor allem daran, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Aufgaben auf seinem Schreibtisch abgeladen wurden: Von der Nachmittagsbetreuung über die verlässliche Grundschule bis zur Inklusion, von Vergleichsarbeiten über die Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung bis zu den Corona-Hygieneplänen.

Seitdem seine Gewerkschaft, die GEW, die Uni Göttingen mit einer großen Arbeitszeitstudie beauftragt hat, glaubt Frank Post allerdings, all diese Überstunden endlich auch beweisen zu können. Mehr als 2.500 Lehrer*innen hatten damals – vom April 2015 bis zum April 2016 – mit einem Onlinetool minutengenau erfasst, wie viel Zeit sie mit Unterricht, Unterrichtsvorbereitung, Verwaltungsaufgaben und anderen Aufgaben verbringen. Und siehe da: Fast alle leisteten Überstunden.

13 Lehrer*innen haben auf dieser Grundlage gegen ihren Dienstherren, das Land Niedersachsen, geklagt. Das Verfahren von Frank Post ist das erste, das nun vor dem Verwaltungsgericht in Hannover verhandelt wurde. Mit entsprechend großen Erwartungen war es belastet. Doch am Ende machten Post und seine zur Unterstützung angereisten Kolleg*innen lange Gesichter. Das Gericht wies die Klage ab, ließ aber gleichzeitig durchblicken, dass in dieser Angelegenheit das letzte Wort ja noch lange nicht gesprochen sei.

Er habe grundsätzlich keine Zweifel daran, dass Post ein engagierter Schulleiter sei und deutlich mehr arbeite, als von ihm verlangt werden könne, wenn man die 40-Stunden-Woche eines Beamten zugrunde lege, erklärte der Richter. Er bezweifle auch nicht den grundsätzlichen Gehalt der wissenschaftlichen Studie, die belege, dass Lehrer*innen und Schulleiter*innen zu viel arbeiteten. Aber darüber habe das Verwaltungsgericht nicht zu entscheiden gehabt.

Das Land sagt, er hätte sich anders organisieren müssen

Um individuelle Ansprüche gegenüber dem Dienstherrn geltend zu machen, wie es Post in seiner Klage getan habe, bedürfe es des Nachweises, dass die Mehrarbeit tatsächlich in diesem Umfang geleistet wurde und auch nicht zu vermeiden war.

An diesem Punkt wird es vertrackt: Die Zeiten, die Frank Post erfasst hat, weichen an einigen Stellen deutlich von dem ab, was die Studie als Durchschnitt für andere Schulleiter dokumentiert hat. Unterschieden wurde hier zwischen Unterricht, Funktionstätigkeiten (also klassischen Schulleiteraufgaben) und sonstigen Tätigkeiten – letztere nahmen aber bei Post mehr Zeit in Anspruch als alles andere.

Die Landesschulbehörde hatte hier immer argumentiert, Post hätte sich eben anders organisieren müssen, Aufgaben delegieren oder gar weglassen sollen. Anhand der vorliegenden Daten sah sich das Gericht nicht imstande, das mit Sicherheit zu beurteilen.

Ein weiterer nicht abschließend geklärter Streitpunkt ist die Frage, wie das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Arbeitszeiterfassung aus dem vergangenen Jahr hier anzuwenden ist. Die GEW und ihr Anwalt Ralph Heiermann hatten darauf gesetzt, dass damit die Beweislast umgekehrt wäre. Das Land hätte die Arbeitszeit ordentlich erfassen müssen – und wenn es das nicht getan hätte, könne das nicht zulasten des Klägers gehen.

Der Weg in die nächste Instanz war ohnehin vorgezeichnet

Die Landesschulbehörde argumentierte hingegen, dass diese Pflicht zur Arbeitszeiterfassung hier nicht gelte – immerhin seien Schulleiter so etwas wie leitende Angestellte und in weiten Teilen frei bei der Einteilung ihrer Arbeit. Da könne man nicht mit der Stechuhr kommen.

Eine Revision ließ das Gericht angesichts der grundsätzlichen Bedeutung des Falles ausdrücklich zu. Der Weg nach Lüneburg zum Oberverwaltungsgericht ist damit offen. Dass man in die nächste und vielleicht sogar noch weitere Instanzen müsste, sei ja erwartbar gewesen, versicherte die GEW-Landesvorsitzende Laura Pooth.

Damit habe man ja auch durchaus schon mal gute Erfahrungen gemacht: 2015 kippte das Oberverwaltungsgericht die vom Kultusministerium angeordnete Mehrarbeit von einer Unterrichtsstunde pro Woche bei Gymnasiallehrer*innen. Unter anderem, weil die GEW mit einer Pilotstudie nachweisen konnte, dass die Lehrer*innen ohnehin schon zu viel arbeiteten. Das Verfahren war der Ausgangspunkt für die vorliegende noch größere Arbeitszeitstudie, die alle Schulformen umfasst.

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1 Kommentar

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  • An dieser Stelle trifft der europäische Machismo zur Abwechslung mal einen Mann in einer Führungsposition. Das kommt davon, nehme ich an, wenn Männer sich auf angeblich „weiblichen Feldern“ (Sonstiges, Gedöns) betätigen und da auch noch mehr tun (wollen), als ihr (Dienst-)Herr ausdrücklich von ihnen fordert.

    Wer Kinder hat weiß, dass Bildung, Soziales und Organisatorisches nicht trennbar sind. Kultusminister haben offenbar keine Kinder. Jedenfalls keine, die sie selbst erziehen. All ihre Energie stecken sie in den Hahnenkampf um die Erlangung bzw. den Erhalt ihrer Machtposition. Das macht es ihnen leicht, engagierte Schulleiter wie ihre Ehefrauen, Kinder oder Geliebte zu behandeln: von oben herab.

    Ohne wirklich eine Ahnung von den konkreten Notwendigkeiten vor Ort zu haben, weisen sie all ihren Untergebenen pauschal die gleichen Aufgaben zu. Wollen diese dann im Einzelfall mehr tun als das, was verlangt wird, sollen sie das auf eigene Kosten tun. Wollen sie diese Ungerechtigkeit nicht hinnehmen, bürdet ihnen der Gesetzgeber zu allem Überfluss die volle Beweislast dafür auf, dass es anders nicht gegangen ist.

    Aber beweis mal einer, dass Nichtstun negative Folgen haben wird! Wäre das möglich, wäre unsere Welt vermutlich eine andere. Es ist leider unmöglich, weil sich die Konsequenzen des Nichtstuns nicht exakt darstellen lassen. Sie können so oder auch anders aussehen. Damit wird jedes Urteil zur Glaubensfrage. Und welcher Richter einer Erstinstanz will sich heute schon auf seinen Glauben stützen in so einem Fall?

    Immerhin: Inzwischen ähnelt die Mauer, die einst männliche von weiblichen Tätigkeitsfeldern, Chefsachen von Turnschuh-Aufgaben getrennt hat, eher einer Membran. Sie ist durchlässig geworden. Das macht die Sache kompliziert und spannend, gleichzeitig riskant und potentiell hoffnungsvoll. Es gibt inzwischen eine Chance auf Veränderung, auch wenn die nicht unbedingt immer genutzt wird. Ich bin also gespannt auf das Urteil der nächsten Instanz.