Überlebenskampf der Clubs in Berlin: Tanzen bis zum Schluss
Berlin boomt, auch dank der Clubs. Viele sind gerade deswegen bedroht, sie müssen Investoren weichen. Nun gibt es eine neue Rettungskampagne.
Dass Clubs verschwinden, hat viele Gründe: Sie sind mit explodierenden Mieten, lärmempfindlichen Nachbar*innen und einer schwachen rechtlichen Lage konfrontiert. Hinzu kommt, dass die Zahl an Nachwuchsinstitutionen ernüchternd gering bleibt. Der Leerstand, der Berlin seit 1989 zur Technohauptstadt verhalf, ist ein Phänomen von gestern. Es gibt immer weniger Ausweichoptionen.
Ein Bundestagsantrag der linken Abgeordneten Caren Lay soll Clubs besser schützen. Bislang gelten sie in der Baunutzungsverordnung nicht wie Theater- und Opernhäuser als Kulturstätten, sondern wie Bordelle und Spielhallen als Vergnügungsstätten. Lay will das ändern. Letztlich geht es beim Einsatz für Clubs auch um eine grundsätzliche Frage: In was für einer Stadt wollen wir leben?
Weichen für die A 100
Die Berliner Clubszene hat laut einer Studie zuletzt rund drei Millionen Touristen im Jahr in die Stadt gelockt. Die feiernden Gäste sorgen für rund 1,48 Milliarden Euro Umsatz im Transport-, Gastronomie- und Gastgewerbe. Die Clubszene allein hat danach 168 Millionen Euro umgesetzt.
Der Überlebenskampf der Clubs ist auch Kultursenator Klaus Lederer (Linke) bewusst. „Wir leben nicht mehr in den 90er-Jahren, wo jeder im Grunde einen Club aufmachen konnte, indem er sich einfach in den existierenden Raum reingesetzt, einen Kasten Bier hingestellt und mit Musik experimentiert hat“, sagte er der dpa. „Inzwischen steht die Stadt unter einem hohen Inwertsetzungsdruck, die Stadt wächst, die Stadt wird dichter, Nutzungskonflikte nehmen zu. Deshalb probieren wir mit verschiedensten Maßnahmen den Problemlagen in der Clubszene entgegenzuwirken und die Szene zu unterstützen, sich auch weiterentwickeln zu können.“ (dpa)
Beim linksalternativen Technoclub About Blank erhält diese Frage eine groteske Dimension in Zeiten der Klimakrise: Der Friedrichshainer Laden auf dem Markgrafendamm soll in den nächsten Jahren weichen – für eine Autobahn. Der Club liegt direkt auf der Trasse der geplanten Verlängerung der A 100, Ende 2022 läuft der Mietvertrag mit dem Bezirk aus. Klar war das bereits 2010 beim Einzug in den ehemaligen Kindergarten.
Dass aber eine Autobahn direkt durch einen Wohn- und Kulturkiez fahren soll, findet Bernd Blanche aus dem Clubkollektiv absurd: „Ein spannenderes Konfliktfeld für gesellschaftliche Kämpfe kann ich mir kaum vorstellen. Es ist ein exemplarisches Beispiel für die Auseinandersetzung um die Zukunft der Gesellschaft.“
Erfreulicherweise schreiten Berliner Bauprojekte bekanntlich nur langsam voran. So konnte der Mietvertrag immer wieder um zwei Jahre verlängert werden. Auch wegen einer Verlängerung über 2022 hinaus bleibt der Club optimistisch. Der Bezirk hat allerdings ein Sonderkündigungsrecht für den Fall, dass das Gelände zum Autobahnbau benötigt wird. Von seiner besonderen Lage hat der Club aber auch profitiert: das Gelände ist schwer verwertbar für andere Interessenten. „Überall, wo das Kapital sich nicht voll verwerten kann, findet eine Zwischennutzung statt, entstehen Freiräume, die halt nicht so einen starken Verwertungsdruck haben“, so Blanche weiter.
Auch die Clubs Salon zur wilden Renate und die Else liegen auf der geplanten Autobahntrasse. Eine Absage des Bauprojekts würde aber längst nicht heißen, dass alle diese kulturellen Einrichtungen sicher wären. Blanche befürchtet in diesem Fall eine Aufwertung der Gegend: „Wenn Kapital in unseren Kiez richtig reinfließen kann, dann bedroht uns das genauso stark wie eine Autobahn. Wir wünschen uns eine Stadtgesellschaft, die in der Lage ist, Freiräume zu erhalten und aufzubauen und diese Kreisläufe von Verdrängung und Aufwertung zu unterbrechen.“
Auch der Neuköllner Club Griessmuehle ist dieser Verwertungslogik ausgesetzt und vom mangelnden mietrechtlichen Schutz betroffen. In den vergangenen acht Jahren haben der Betreiber David Ciura und sein Team ein postindustrielles Gelände zwischen S-Bahn-Gleisen und Kanal am südlichen Ende der Sonnenallee in ein subkulturelles Biotop verwandelt. Wo früher ein architektonisches Niemandsland war, blüht heute ein Kulturzentrum mit globalem Appeal.
Doch Anfang 2020 läuft der Mietvertrag aus – schon wieder. Der Club erhielt immer nur eine Mietvertragsverlängerung in Abständen von sechs Monaten, wie eine Sprecherin des Clubs der taz bestätigt. Eine gängige Praxis von Vermietern in der Clubbranche, die laut Caren Lays Bundestagsantrag künftig verhindert werden soll. Die Griessmuehle selbst ist nur Untermieter, Hauptmieter ist ein Logistikunternehmen.
Zurzeit laufen Verhandlungen mit dem Eigentümer über eine Verlängerung über sechs Monate hinaus. Sollte ein Investor sich für das Gelände im immer angesagter werdenden Süd-Neukölln interessieren, könnte bald Schluss sein mit Technopartys. Den MacherInnen ist das offenbar bewusst: Ein Newsletter vom 30. Dezember endete mit dem Hashtag #savegriessmuehle. Weitere Infos will der Club in Kürze bekannt geben.
Von einer ähnlichen Situation sind der KitKat-Club und der Sage Club in der Köpenicker Straße bedroht. Das „Kitty“ gibt es seit 1994 an unterschiedlichen Orten, seit 2008 im Sage Club in der Köpenicker Straße. Die Adresse im früheren Geisterbahnhof Heinrich-Heine-Straße hat Tradition: Seit 1991 wird das Gebäude als Club benutzt, damals war der legendäre Afterhour-Laden Walfisch dort zu Hause. Nach 29 Jahren droht der Location das Aus.
Denn im November wurde bekannt, dass der Sage-Betreiber und Mieter der Räumlichkeiten, Sascha Disselkamp, die Kündigung vom Eigentümer erhalten habe – einem Münchner Immobilienunternehmer, der den Großteil des Areals besitzt. Bis Ende Juni 2020 sollen beide Clubs einen guten Teil der Räumlichkeiten verlassen, weil der Eigentümer das Gelände verkaufen wolle und Investoren an einem Hotel oder Bürobauten interessiert seien.
Allerdings dementiert Henry Neil Howe, der Verwalter des Grundstücks, Disselkamps Schilderung. Dem Tagesspiegel sagte Howe: „Ich sehe keine Bedrohung.“ Man habe den Mietvertrag des Sage-Clubs auslaufen lassen, um einen neuen Vertrag mit dem Untermieter KitKat auszuhandeln. Von Verhandlungen zwischen dem KitKat und dem Eigentümer wisse Disselkamp wiederum nichts. Liegt das an schlechter Kommunikation oder einem postfaktischen PR-Manöver des Eigentümers? Mittlerweile sucht Disselkamp selbst nach Investoren, um das ganze Gelände zu kaufen, wie es im Tagesspiegel weiter hieß.
Weder Disselkamp noch die KitKat-Betreiber*innen Simon Thaur und Kirsten Krüger reagierten auf eine taz-Anfrage. Die Lage bleibt rätselhaft. Der Fall ist jedoch ein weiteres Beispiel dafür, wie fragil Berlins Clublandschaft ist.
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