Hamburger Polizist vor Gericht: Zu viele Zweifel
Ein Gericht in Hamburg hat einen Polizisten freigesprochen. Er hatte einen Lieferwagenfahrer bei einer Kontrolle leicht verletzt.

Dem Beamten war vorgeworfen worden, einen Lieferwagenfahrer im April 2024 bei einer Kontrolle aus seinem Wagen gezerrt, mit dem Kopf an das Fahrzeug gedrückt und dabei leicht verletzt zu haben. Angeklagt gewesen war er wegen Nötigung und Körperverletzung im Amt.
Um ihn zu verurteilen, habe es am Ende zu viele Zweifel gegeben, fand die Richterin. Die objektiven Beweise, darunter ein Handyvideo des Lieferwagenfahrers, seien zu wenig aussagekräftig gewesen. Die Zeug*innen, darunter den betroffenen Fahrer, fand sie nicht glaubwürdig genug.
Anders sah es der Staatsanwalt. Er war von der Schuld des Polizisten überzeugt und hatte eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung gefordert. Das begründete er vor allem mit der Aussage des Lieferwagenfahrers.
Lieferwagenfahrer kam in Arbeitskleidung ins Gericht
Der kam als Zeuge direkt von der Arbeit, in T-Shirt und Kappe mit „FedEx“ Aufdruck. Beim ersten Termin war der 32-Jährige nicht erschienen, das Gericht brummte ihm deswegen eine Geldstrafe auf.
Polizeikontrollen seien für ihn nicht außergewöhnlich, sagte der Schwarze Paketbote im Zeugenstand. Das passiere alle zwei, drei Monate. Probleme habe er dabei sonst aber nie gehabt. An dem Mittag im April sei er im Stress gewesen, weil er ein Paket vor 12 Uhr habe ausliefern müssen. Deswegen habe er gehupt als die Einbahnstraße, in die er einbog, von einem Polizeiauto versperrt gewesen war, er aber keine Beamten gesehen habe.
Der Lieferwagenfahrer sagte, der Polizist sei aggressiv auf ihn zugegangen. Er habe gefordert, seine Papiere zu zeigen, ohne ihm zu erklären, was er falsch gemacht habe, auch nicht auf Nachfragen. Als er ihm seine Papiere nicht sofort gab, habe der Polizist ihn ohne Vorwarnung gepackt, aus dem Fahrerhäuschen gezogen und draußen mit dem Kopf an sein Fahrzeug gedrückt. Davon habe er eine blutende Wunde im Mund davongetragen.
Um das Hupen, das eine Ordnungswidrigkeit sein kann, drehte sich der Prozess immer wieder. Die Anklage stütze sich vor allem auf die Aussage des Fahrers, nicht darüber aufgeklärt worden zu sein, was ihm vorgeworfen wurde.
Wenn Polizist*innen eine Person kontrollieren, müssen sie ihr möglichst sagen, warum. Und bevor sie körperlich werden, sogenannten unmittelbaren Zwang anwenden, müssen sie das möglichst ankündigen. Beides ist die Voraussetzung dafür, dass eine Maßnahme rechtens ist. Die Staatsanwaltschaft fand, beides sei nicht ausreichend passiert.
Der Polizist, grauer langer Bart, weiße Turnschuhe, selbst nicht-weiß, sagte am ersten Prozesstag, er sei zum Fahrer gegangen, damit der „aufhöre wilde Sau zu spielen“. Er habe ihm zu verstehen gegeben, dass das Hupen eine Ordnungswidrigkeit darstelle. Auch habe er gesagt, dass es „wehtun“ könne, wenn er ihm seinen Ausweis nicht freiwillig gebe. Das glaubte ihm die Richterin, die allerdings anmerkte, dass die Belehrung „nicht ganz lehrbuchmäßig“ gewesen sei.
Der Polizist trat im Gericht ohnehin nicht gerade wie ein Lehrbuch-Beamter auf. Er saß breitbeinig, formulierte locker. Am ersten Prozesstag sagte er, dass er Menschen im Dienst auch mal mit „Diggah“ anspreche, um sie einzufangen. Eine körperliche Maßnahme mit „Das tut dann auch weh“ anzukündigen, sei eine Standardaussage von ihm.
Polizist*innen landen nur selten vor Gericht
Ob das jetzt höflich ist, oder nicht, spielte für den Freispruch keine Rolle. Ungewöhnlicher als der Ton des Angeklagten, war von vornherein, dass ein Polizist wegen Körperverletzung im Amt überhaupt vor Gericht gelandet ist.
Von allen Verdachtsfällen rechtswidriger Polizeipraxis, darunter Körperverletzung im Amt, erheben Staatsanwaltschaften in nur 2 Prozent Anklage. Bei anderen Delikten sind es 22 Prozent. Wenn Beamt*innen dann vor Gericht landen, werden sie sehr viel seltener verurteilt als andere Angeklagte. Beides hat die Studie „Gewalt im Amt“ der Goethe-Universität Frankfurt ergeben.
Mitautorin und Kriminologin Laila Abdul-Rahman erklärt das Missverhältnis auch damit, dass Polizeibeamt*innen oft als glaubwürdiger betrachtet werden als zivile Zeug*innen. Zudem ermittelt die Polizei oft gegen Kolleg*innen. „Wir nennen das einen Bereich, wo die Polizei Definitionsmacht hat.“
Gegen den freigesprochenen Hamburger Polizisten läuft aktuell ein Disziplinarverfahren. Es ist nicht sein erstes. Ob das Verfahren trotz Freispruch seine bevorstehende Beförderung verhindert, ist noch nicht absehbar. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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