: Über den Tellerrand
■ Stadtforum pflegt kleine Städtefreundschaften / Auf der Suche nach Kooperation mit Tallin, Bratislava, Kopenhagen
Es gereicht Berlin und seinen politisch Verantwortlichen immer zur Ehre, bekunden diese, von anderen Städten lernen zu wollen. Über den eigenen Tellerrand hinausgucken, nennt man das. Das Stadtforum geht da mit gutem Beispiel voran und versuchte schon des öfteren, seine Schwierigkeiten in der Stadtentwicklung durch Vergleiche mit anderen „Metropolen“ zu lösen: so waren die spanischen Olympiaprojekte ein Thema, Londons Docklands mußten als Bild eines Bürostandortes herhalten, und New York blieb Schreckgespenst in der Hochhausdebatte.
Seit der 33. Sitzung am vergangenen Wochenende scheint es mit der Vergleichbarkeit auf Metropolenebene vorbei zu sein, maß man sich doch mit „Metropolen“, die keine sind oder einen anderen Part als Berlin im Nachkriegseuropa spielen. Das Stadtforum fragte Planer aus Tallin (Estland), Bratislava (Slowakische Republik), Kopenhagen (Dänemark) oder Wien (Österreich), welche gemeinsamen Perspektiven die Städte entlang der früheren ostwestlichen „Grenzregion“ besitzen, um sich gegen die starke „Banane“, die Linie Mailand – Frankfurt – London, zu behaupten.
Falsche Bescheidenheit Berlins nach dem Olympia-Desaster? Wohl kaum. Eher Orientierungslosigkeit. Denn die Achse Berlin – Tallin oder Berlin – Bratislava wollte sich ebensowenig herstellen wie die mit Kopenhagen oder Warschau. „Bratislava“, sagte Peter Benuska, Architekt und Bürgermeister dortselbst, „sieht seinen traditionellen Entwicklungsraum entlang der Donau, zwischen Wien und Budapest.“ Die Chance, sich zugleich weiter nach Westen zu öffnen, scheitere an den fehlenden Investitionen und Kommunikationsmöglichkeiten der alten Krönungsstadt.
Auch die Planungen von Tallin, betonte Dimitri Bruns, Planer in der baltischen Stadt, richteten sich mit der Sanierung der Altstadt und der Erneuerung des Hafens nach innen. Langfristig jedoch weise die Perspektive der Stadt, so Bruns, nach Finnland und zu den Hansestädten der Ostsee, mit denen ein Austausch über Stadtentwicklung, Kultur und Wirtschaftsbeziehungen initiiert werden müsse.
Kritik erntete der Bruns-Plan bei dem dänischen Architekten Dan Christensen, der mehr Konkurrenzen als Kooperationen bei den unmittelbaren und weiter entfernten Nachbarn ausmachte. Christensen: „Mit Berlin verbindet uns der Zweite Weltkrieg, mit der Hanse, daß Kopenhagen von ihr niedergebrannt wurde.“
Vielmehr komme es darauf an, jenseits historischer Beschwörungsformeln, nach eigenen Identitäten zu suchen und andere zu respektieren. Ratschläge für die Berliner Stadtentwicklung hielt allein Wiens Baustadtrat Hannes Swoboda bereit, der der Stadt – in Kooperation mit Wien – wieder die Identität zumaß, die sie einmal berühmt machte: nämlich als Schmelztiegel der Kulturen gegen nationale Interessen. Rolf Lautenschläger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen