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Über dem sommerlichen Besteckkasten geht die Sonne unter Von Susanne Fischer

über dem ländlichen Friedhof ging geräuschlos die Sonne unter. Lange habe ich überlegt, ob man mit so einem korrupten Satz eine Kolumne eröffnen darf, auch wenn er sehr wahr ist.

Natürlich habe ich überhaupt nicht lange überlegt, sondern bloß auf dem Weg vom Hahn der Hofberegnungsanlage bis zum Computerknopf. In einer Welt, in der ich mir beim Hotelfrühstück vom Nebentisch Sätze gefallen lassen muß, die zum Beispiel lauten: „Hochqualitative Telefonarbeit ist für mich von größter Priorität“, kann ich ja wohl über erfreulich lautlose Gestirne formulieren, was mir beliebt.

„Dem ersten, der das Wort Hitze benutzt, haue ich dem Bratpfanne an den Kopf“, droht John aus Kalifornien. Das bißchen Sommer, was ihm Norddeutschland zu bieten hat, möchte er sich von uns nicht vermiesen lassen. Allerdings auch nicht von der Hofberegnungsanlage, weshalb es zu einer Auseinandersetzung kommt, in deren Verlauf allerhand Dinge ihr Geschlecht wechseln müssen, ob sie wollen oder nicht. Jedesmal, wenn John etwas sagt, hüpfen sie in der Weltordnung von einem Genus-Ort zum anderen. Der-die-das Messer hat es heute am schwersten, denn es muß erst in die männliche und dann in die weibliche Abteilung, bevor es endlich heim darf in das Besteckkasten. Deutsch ist eine sehr alberne Sprache, aber wenn man sie beherrscht, kann man immerhin Sätze über Marketingfinessen zum besten geben.

Über dem ländlichen Friedhof versank also die Sonne, ohne daß sie einen Mucks über die Rangliste ihrer Aufgaben („Hochqualitatives Untergehen ist für mich von größter Priorität“) vernehmen ließ. So lobe ich mir meinen Sommerhimmel: voll stiller Dulder im Weltenlauf, klaglose Herstellung von Tag und Nacht, kein Geschrei à la „Abendröte heute nur 4 Mark 99 (Sonderangebot wegen leichter Bewölkung)“. Freundliche Wärme umhüllte uns auf dem Balkon, und wir erwogen nur kurz, wie die Welt aussehen würde, wenn die Luft mit der Temperatur auch die Farbe (von dunkelgrün nach hellviolett) wechseln würde. Und was wäre, wenn die Erwärmung jedesmal mit den Geräuschen verbunden wäre, die der soeben vorbeiziehende Posaunenchor hervorstieß?

Genaugenommen ist die saisonale Lufterwärmung natürlich jedesmal mit allerlei Geräuschen verbunden. Ich erwähne hier nur die Chorprobe der Rasenmäher, das mörderische Prasseln der Hofberegnungsanlage und das rhythmische Würgen derer, die den Vergnügungen des ländlichen Sommers allzu heftig nachgehen. Ferner wäre die überaus geräuschfreudige Tierwelt zu nennen. Aber die vernachlässigen wir lieber.

„Hast du der Frosch gehört?“ fragt John. „Das war eine Ziege!“ behauptet Petra, und wir denken darüber nach, wer wohl erfunden hat, daß man abends nichts mehr sehen kann, so daß gewisse Grundfragen des Lebens ungeklärt bleiben müssen. „Es war ein Zombie“, wird schließlich per Mehrheit entschieden, womit der Ruf der geräuscharmen Bewohner des benachbarten Friedhofs auch ruiniert wäre. Auf dem Lande wird schließlich über jeden getratscht.

Über dem ländlichen Friedhof ging geräuschlos die Sonne unter; alsbald begann ein friedlicher Abend. Dem Bratpfannen hatte ich schon nachmittags weggeschlossen.

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