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■ MultikulturÜber Unkraut

Fahrudins Söhne, 18 und 20, wurden in seinem Haus in Kozsrac erschossen. Im Konzentrationslager Tmopoije hat er zugesehen, wie Menschen massakriert, vergewaltigt und umgebracht wurden. Dort gab es 15 Tage lang kein Wasser und nur Gras zu essen. Die Zähne waren ganz grün. – Die Berichterstatter interessieren sich nicht für Fahrudin. Auch für Garo nicht, der viele Menschen aus dem KZ Srpska Srebrenica rettete und von anderen Serben in seinem Haus in Bosanska Krupa zusammen mit seinen Eltern, der Frau und den beiden Kindern verbrannt wurde. Sie interessiert auch Oma Mara nicht, die weinend ihrem Nachbarn Suljo täglich Essen in das Lager Drteij in Herzegowina brachte. Fahrudin, Garo und Mara sind keine Ausnahmen. „Natürlich würden wir wieder zusammenleben, wenn wir bloß nach Hause zurückkönnten“, sagen die meisten. Sie, die jetzt an den Rand gedrängt sind, sagen es leise, fast nur für sich selbst. Auch wenn sie laut schrien, würde sie niemand hören, denn lauter sind die, die Maschinengewehre und Kanonen benutzen. Sie sind im Besitz der schlagenden Argumente, sie setzen sich durch auf dem Terrain und in den Köpfen der Zuschauer. Wer kann noch an eine multikulturelle Gesellschaft hier glauben, wenn Nachbarn so aufeinander losgehen, nachdem sie Jahrhunderte zusammengelebt haben? Wer ist noch bei den hiesigen Ablenkungen bereit, diesen Spannungsfeldern nachzuspüren? Die einfache Erklärung „Es war dort auf dem Balkan schon immer so“ kann zu jedem Selbstbetrug benutzt werden. Vergebliche Beteuerungen, es sei kein ethnischer, kein Bürgerkrieg, es sei ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung, gegen das Zusammenleben, das dort eine Normalität war wie das Zusammenleben der Thüringer, Schwaben, Bayern, Preußen, Katholen, Evangelen...

Leider ist es anders. Kriege brechen nicht aus, weil die Gesellschaft multikulturell, multinational oder multireligiös ist. Kriege werden eingeleitet, um zu erobern und zu plündern. Auch in Bosnien. Die Welt an sich ist multikulturell. So kündigen sich Kriege wie Naturkatastrophen überall gleich an. Und überall werden sie gleich verdrängt. „Hier riecht es nach Krieg“, sagte 1988 ein Freund beim ersten Besuch in Zagreb. Niemand glaubte, daß Dubrovnik, Vukovar oder Sarajevo beschossen würde. Am wenigsten die Menschen dort selbst. Verdrängen nicht auch wir unseren Krieg? Werden nicht auch hier um uns herum Menschen verbrannt, erfrieren Obdachlose nicht am Straßenrand? Sind Juden nicht vor 50 Jahren in die KZs gegangen im Glauben „Das kann uns nicht passieren“. Beginnen nicht Kriege überall viel früher, als geschossen wird? Führen die Menschen nicht nur Kriege gegen die „anderen“, sondern auch gegen das Wesen des Lebens an sich? Sind nicht Folgen der Kriege Verwüstungen, Verpestungen, Ausrottung von Pflanzen und Tieren? Ja, die fortdauernde Verarmung der Welt. Zu leicht lassen wir uns ablenken. Wer denkt schon auf den Prachtstraßen an den dalmatinischen Karst, wo einst die Bäume wuchsen, die Venedig tragen. Hier die hohe Kultur, dort das Unkraut. Wer glaubt, das Unkraut ginge uns nichts an, bemerkt nicht die drei Millionen aus Bosnien Vertriebenen. Wer will sich schon eingestehen, daß alles im Krieg ist, auch außerhalb Bosniens. Die am Rande wissen es besser. Auf sie hört man aber nicht, sie will man nicht sehen, und wo man sie sieht, werden sie niedergetreten wie das Unkraut, das am Wegrand wächst.Bosiljka Schedlich

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