ÜBERFLÜSSIG: DEBATTEN ÜBER LOHNFORTZAHLUNGEN IM KRANKHEITSFALL : Der Angriff auf den Körper
Es gibt Sozialthemen, deren Verletzungspotenzial besonders groß ist, weil sie die Menschen im Innersten treffen. Es ist deshalb verwunderlich, dass Arbeitgebervertreter ausgerechnet jetzt während des Wahlkampfs wieder das Thema Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf den Tisch knallen – ein Thema, das nicht einmal die CDU wieder in ihrem Wahlprogramm stehen hat. Weil sie damit schon einmal gescheitert ist.
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Ludwig Georg Braun, fordert eine Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Schon im Jahre 1996 hatte die CDU/FDP-Regierung die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall von 100 auf 80 Prozent gekürzt – und musste feststellen, dass selbst die Unternehmer diesen Konflikt nicht in ihren Betrieben haben wollten. Allerorten schlossen damals die Gewerkschaften mit den Arbeitgebern Tarifverträge ab, in denen „die 100-Prozentige“ doch weiter festgeschrieben wurde. Die rot-grüne Regierung schaffte das Gesetz dann wieder ab. DIHK-Chef Braun fordert nun, dass kranke Arbeitnehmer in den ersten zwei Tagen der Erkrankung keine Lohnfortzahlung erhalten sollen.
Eine solche Selbstbeteiligung stärke „die Eigenverantwortung“. Braun insinuiert damit, jede(r) könne selbstverantwortlich entscheiden, ob sie oder er krank wird oder nicht. Nun liegt aber genau die Krankheit nicht in der „Eigenverantwortung“ des Menschen, weil es die individuelle Kontrolle über Körper und Seele nicht gibt – eine Erfahrung, die ohnehin schon beängstigend genug ist und dieses Thema so sensibel macht.
Man findet sie ohnehin kaum noch, diese alte Diskussion über „Blaumacher“, die Krankheit vorschützen, weil sie keinen Bock haben, zu ackern. Gerade in wirtschaftlich klammen Zeiten bemühen sich die Arbeitnehmer, im Job nicht zu fehlen. Sie haben Angst, rausgekantet zu werden, so die Erfahrung der Krankenkassen. Brauns Vorschlag ist also bestenfalls eine simple Einsparidee – und zwar eine schlechte. Es handelt sich um eine überflüssige Diskussion. BARBARA DRIBBUSCH