ÜBER BALL UND DIE WELT : Subversiver Kick
MARTIN KRAUSS
Fußballerische Erfolge wecken politische Begehrlichkeiten. Das gilt selbstverständlich auch für das Land des Weltmeisters, in dem zudem Spitzenklubs wie Real Madrid und der FC Barcelona kicken. Weil aber Spanien zu den kriselnden EU-Ländern zählt, sind die Begehrlichkeiten dort, sagen wir, besonders. Dem spanischen Parlament liegt nämlich derzeit ein Gesetzentwurf vor, wonach Kinder und Erwachsene Strafen zwischen 100 und 1.000 Euro zahlen müssen – im Falle „der Ausübung von Spielen oder Sportaktivitäten in öffentlichen Räumen, die nicht dafür geschaffen sind“.
Hä? 1.000 Euro Strafe wegen Straßenfußball? Sieht so etwa der Beitrag des spanischen Staates aus, weiter von den Erfolgen der Fußballer profitieren zu können? Soll auf diese clevere Weise der spanische Kickernachwuchs in voller Breite gefördert werden? Sind die doof?
Nein. Das Gesetz zeigt nur, wie verzweifelt ein Staat sein kann, der einerseits so etwas Unangenehmes wie Ratingagenturen an den Hacken hat und andererseits weiß, dass das, was er für diese Unsympathen durchsetzen muss, auf Widerstand stößt. Das zunächst absurd klingende Verbot des Straßenfußballs ist Teil eines „Gesetzes zum Schutz der Sicherheit der Bürger“, mit dem unter anderem gegen Demonstranten vorgegangen werden soll, die sich gegen die vielen Einschnitte wehren.
Es geht also gar nicht um die grandiosen Einnahmemöglichkeiten, die sich für Steuerbehörden ergeben, wenn erst mal mehrere tausend Kinder täglich ihr Taschengeld abdrücken müssen, weil sie wieder auf der Straße Fußball gespielt haben. Vielmehr gilt die öffentliche Ordnung bedroht: durch Demonstrationen, Fußballspiele und anderes subversives Zeug. Der Staat behält sich tatsächlich vor, Bolzen im öffentlichen Raum als illegale spontane Demonstration zu bewerten.
Das Absurdeste daran ist: Der Staat hat nicht mal unrecht. Nicht erst die Fußballfans in Ägypten, der Türkei und Syrien haben demonstriert, dass Fußball gerade dann, wenn er nur Fußball ist, eine enorme politische Macht besitzt. „Beim Fußball konnte ein Arbeiter seine eigene Sprache sprechen“, trug Cesar Luis Menotti, der argentinische Weltmeistertrainer von 1978, in seinen Thesen zum linken Fußball vor, „schlau und listig konnte er eine Absicht vortäuschen und eine andere durchsetzen – und all dies mit Freude, Ungezwungenheit, Talent zur Schönheit und der Feinfühligkeit, um diese Schönheit zu genießen“. Fußball ist eben weder Florettfechten noch Formel eins noch Fallschirmspringen. Fußball ist also keine Sportart, in der es um das Einüben bürgerlicher Körperlosigkeit gehört; auch keine, in der Autokonzerne ihre Motoren testen lassen, und schon gar keine, die neoliberalen Extremfantasien gehorcht.
Auch auf den Tribünen findet sich, aller Kommerzialisierung zum Trotz, noch etwas, das man früher proletarische Öffentlichkeit genannt hätte: Was anderswo Solidarität heißt, nennt sich hier Liebe zum Club, und getrunken wird Bier statt Wein. In England präsentiert sich die Schönheit der Working Class gerne mit dem freien Oberkörper eines Football Supporters, auch im Winter.
Aber in Ländern wie England und Deutschland ist der proletarische Charakter des Fußballs schon sehr weit zurückgedrängt worden. Die englischen Sitzplatzstadien mit ihren horrenden Eintrittspreisen sorgen dafür, dass Middle- und Upperclass-Familien kommen und dass sich die früher als Kuttenfans verspotteten Supporter in Kneipen vor dem Fernseher treffen.
Denn vom Fußball lassen die nicht ab – trotz milliardenschweren Clubbesitzern, technokratischen Verbandspräsidenten oder Börsennotierungen. „Der Fußball gehört dem einfachen Volk“, sagt Menotti, „denn aus ihm ist er hervorgegangen. Er beinhaltet alle Werte der Arbeiterklasse.“ So gesehen ist es gar nicht so bescheuert, wenn die konservative Regierung in Spanien, die doch alles dafür tun will, dass die Finanzmärkte sie lieben, sogar im Straßenfußball ein Sicherheitsrisiko erblickt.
Er ist ja auch eins. Und genau das ist die Schönheit des Fußballs.