: USA wollen Flüchtlingslager räumen
■ Täglich werden 1.000 Flüchtlinge aus Guantanamo nach Haiti abgeschoben/ Haitianische Beamte und Rotkreuz-Mitarbeiter empfangen sie bei der Ankunft — was später passiert, kontrolliert keiner
Washington/Port-au-Prince (wps/ap) — Joseph Seraphin hatte Glück. Der junge Student aus Haiti durfte in die USA reisen, nachdem er die Einwanderungsbehörden davon überzeugt hatte, daß er den gestürzten Präsidenten Aristide unterstützte und im Falle einer Rückkehr getötet werden könnte.
Cemeride Desir wurde am Sonntag nach Haiti zurückgeschickt. Der 36jährige Fischer in Guantanamo, der US-Marinebasis auf Kuba, konnte den Beamten nicht glaubhaft machen, daß er individueller Verfolgung ausgesetzt sein könnte. Er sprach gegenüber Reportern lediglich von seiner Angst vor Gewalt.
Die Interviews in Guantanamo erfolgen ohne Rechtshilfe, und eine Berufung gegen die Entscheidung des Interviewers ist nicht möglich. Nun wird diese Prozedur zu einer existenziellen Frage: Auf den negativen Bescheid folgt die Abschiebung. Die ersten 381 Flüchtlinge landeten am Montag in Port-au-Prince — „freiweillig“, so die offizielle US- Sprachregelung. Täglich sollen jetzt 1.000 folgen — so lange, bis die Zeltstädte von Guantanamo, die gegenwärtig 12.500 Asylsuchende beherbergen, leer sind.
Als sie am Montag in Port-au- Prince die US-Kreuzer verließen, wurden die Abgeschobenen im Hafen von uniformierten Beamten der haitianischen Einwanderungsbehörde empfangen und erkennungsdienstlich behandelt. Dann traten sie vor einen Stand des Internationalen Roten Kreuzes, wo sie Geld für die Busfahrkarte und Lebensmittelkarten zum Umtausch in Rotkreuz-Büros erhielten. Mit Rotkreuz-Bussen und Lastwagen fuhren sie daraufhin zum Busbahnhof der Hauptstadt. Was seither mit ihnen passiert, kontrolliert keiner.
„Es scheint ihnen gut zu gehen“, sagt Jean Ayoub vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes. „Sie wurden sehr gut behandelt.“ Doch, fügt er hinzu, scheinen sie „ein wenig Angst vor dem Unerwarteten“ zu haben. Auf die Frage, ob er Übergriffe gegen die Rückkehrer erwartet, antwortet er: „Wir müssen abwarten. Ich glaube nicht, aber dies ist erst der erste Tag.“ Die Angst führt jedenfalls dazu, daß die meisten Rückkehrer gegenüber Journalisten sehr vorsichtig sind. „Ich freue mich, wieder daheim zu sein“, sagt der 26jährige Meril Joseph, einer der ersten Ankömmlinge. „Ich bin zurück in meiner Heimat. Warum sollte ich mich sorgen?“
Andere behaupten, Flüchtlinge wider Willen gewesen zu sein. Ein 25jähriger, der sich „Frere Serise“ nennt, sagt, der Wind hätte ihn in seinem Fischerboot von der Küste abgetrieben: „Die Küstenwache nahm mich an Bord und brachte mich nach Guantanamo.“ Ein anderer, Forest Frankel aus Cap Haitien, erzählt eine ähnliche Geschichte und sagt, die US-Küstenwache hätte sein Boot verbrannt. „Wer gibt mir die 600 Dollar für mein Boot zurück?“ fragt er.
Die meisten erzählen von unmittelbaren Fluchtgründen: Ganze Slumviertel hätten sich entvölkert aus Angst vor den Razzien der Militärs. „Ich hatte keine ökonomischen Gründe, zu gehen“, erzählt die 38jährige Maryse Sophpnia Jean. „Aber ich ging, weil ich sah, wie die meisten meiner Nachbarn gingen.“ Das gemeinschaftliche Handeln der Slumbewohner ist mit den von den USA verlangten Einzelnachweisen politischer Verfolgung nicht zu erfassen.
UNHCR gegen Abschiebungen
Amnesty international und das UNHCR haben die Politik der USA kritisiert. UNO-Flüchtlingshochkommissarin Sadako Ogata warnte, Rückkehrer könnten „Gefahren ausgesetzt sein“. Der Sprecher des Weißen Hauses, Marlin Fitzwater, erklärte unterdessen, die Repattriierungsaktion werde überwacht. Der Regierung lägen „keine glaubwürdigen Berichte“ über Gewaltanwendung gegen Rückkehrer vor.
In den USA gibt es nur vereinzelte Kritik. „Die Lage in Haiti ist völlig außer Kontrolle“, sagt Rolande Dorancy, Direktorin des Haiti-Flüchtlingszentrums in Miami. „Wie entscheidet die US-Regierung also, wer gefährdet ist und wer nicht?“ Der republikanische Kongreßabgeordnete Charles Rangel aus New York sagte: „Es ist ein Skandal, daß wir erst unseren Botschafter zurückrufen (aus Protest gegen Polizeiübergriffe gegen Politiker) und nur einige Tage später Zivilisten dazu zwingen, an diesen gefährlichen Ort zurückzukehren.“ Dagegen meinte der demokratische Vorsitzende des Senats, George Mitchell, die Regierung „scheint zu versuchen, die Gesetze einzuhalten“.
Die Sprecherin des Außenministeriums, Margot Tutwiler, wies die Kritik zurück. „In den letzten elf Jahren gibt es keinen einzigen Fall, in dem ein repatriierter Haitianer zum Ziel von Verfolgung durch das Regime wurde“, behauptete sie am Montag gegenüber Journalisten.
Genf (dpa) — Von dem Handelsembargo der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gegen Haiti sind vor allem Kinder betroffen, sagte das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF gestern in Genf. Die Fälle von Unterernährung bei Kindern unter fünf Jahren hätten sich um mehr als 25 Prozent vermehrt. Die Zahl der von Malaria und Erkrankungen der Atemwege befallenen Menschen habe sich verdoppelt.
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