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USA mischen vorm Gipfel die Karten

Rüstungskontrolle und Abrüstung bleiben weit hinter den seit dem INF-Vertrag geschürten Erwartungen zurück / Die in letzter Zeit lancierten Hinweise auf angebliche Moskauer „Verhärtungen“ dienen der Schuldzuweisung im Vorfeld des Gipfels Bush-Gorbatschow Ende Mai  ■  Von Andreas Zumach

Kurz vor dem Washingtoner Gipfel zwischen Bush und Gorbatschow, der sich wesentlich mit Abrüstungsfragen beschäftigen soll, liegt auf keinem der derzeitigen Verhandlungstische ein unterschriftsreifes Ergebnis. Und was möglicherweise noch beim Vorbereitungstreffen zwischen den Außenministern Baker und Schewardnadse am 16./17. Mai fertiggestellt wird, bleibt weit hinter den Ankündigungen und vor allem abrüstungspolitischen Notwendigkeiten zurück.

„Moskau stellt neue Forderungen bei Abrüstungsverhandlungen“, „Verhärtung der sowjetischen Position“, „Sinkende Kompromißbereitschaft des Kreml“, „Militärs korrigieren Gorbatschows Kurs“ - so und ähnlich stand es in den letzten Wochen in zahlreichen Berichten über die Verhandlungen in Wien, Genf und Budapest. Angefangen hatte die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ am 29. März mit einer Titelgeschichte ihres Bonner Korrespondenten Feldmeyer. Der berichtete unter Berufung auf westliche Diplomaten bei den Wiener VKSE-Verhandlungen, die Sowjetunion sei dort vom Motor zum „Bremser“ geworden und nicht mehr bereit, ein Wiener Abkommen zu unterschreiben, bevor nicht im Rahmen der 4 + 2-Gespräche über die deutsche Vereinigung eine substantielle Begrenzung der Bundeswehr vereinbart ist. Die Bundesregierung erklärte Ende April auf eine Anfrage der Grünen, daß sie die in dem 'FAZ'-Artikel gemachten Angaben nicht bestätigen könne. Einige US-Blätter berichteten seitdem ähnliches über das sowjetische Verhalten bei den Genfer START-Verhandlungen mit den USA sowie bei der zweiten „Open-sky„-Runde zwischen den 23 Nato- und War schauer Vertragsstaaten in Budapest.

Sicher gibt es Anzeichen dafür, daß in der Roten Armee die Unruhe über die Entwicklungen wächst: auf die nun seit 1987 eingeleiteten einseitigen Abrüstungsmaßnahmen Moskaus hat der Westen nämlich außer mit beifälliger Rhetorik bis heute nicht reagiert; dem Zerfall des Warschauer Paktes steht keine entsprechende Entwicklung auf seiten der Nato entgegen; bei den 4 + 2-Gesprächen, in deren Verlauf die UdSSR alle ihre Rechte als Siegermacht des Zweiten Weltkrieges aufgeben soll, beharren die westlichen Staaten seit dem 18. März unterstützt von der DDR - auf Maximalpositionen, und sind nicht bereit, in diesem Rahmen oder schon in einem ersten Wiener VKSE-Abkommen Vereinbarungen über für Moskau so existentiell wichtige Fragen wie die künftige Größe einer gesamtdeutschen Armee zu treffen.

Diese Situation hat in jüngster Zeit zu einigen öffentlichen Äußerungen sowjetischer Militärs geführt, die von der offiziellen Regierungslinie abweichen. Kritische Äußerungen sind seit neuestem auch von Generälen und Stabschefs in den USA gegenüber der im Weißen Haus beschlossenen politischen Linie zu hören. Das ist zwar auch in den USA ein ungewöhnlicher Vorgang, hat aber bislang nicht zu analogen Spekulationen geführt, die US-Militärs hätten etwa die bisherige Politik Bushs und Bakers korrigiert! Schaut man sich den Stand bei den verschiedenen Rüstungskontrollverhandlungen an, dann läßt sich für ein Bremsverhalten der Sowjets jedenfalls kein Beleg finden.

START ein Flop

Die jetzt als „neue Bedingungen“ bezeichneten Positionen Moskaus in den noch ungeklärten Bereichen eines Abkommens zur Reduzierung der strategischen Waffen (START) sind keineswegs neu: die UdSSR hat seit Beginn der Genfer Verhandlungen die Einbeziehung seegestützter Cruise-Missiles gefordert. Und die USA, deren interkontinentales Arsenal sich überwiegend auf Schiffen und U-Booten sowie Flugzeugen befindet, haben dies immer abgelehnt. Der jetzt von Washington vorgelegte Kompromißvorschlag einer unverbindlichen Absprache außerhalb des Vertrages über einen Teil dieser Waffenkategorie und ohne jede Kontroll- und Verifikationsmöglichkeit kann da für Moskau nicht ausreichend sein.

Auch die unterschiedlichen Positionen über die Reichweite, ab der flugzeuggestützte Cruise-Missiles und Raketen von einem START-Abkommen begrenzt werden sollen (UdSSR: ab 600 Kilometer; USA: ab 1.500 Kilometer), lagen von Anfang an auf dem Genfer Tisch. Der jüngste Kompromißvorschlag Washingtons (1.000 Kilometer) löst das Problem Moskaus nicht. Denn auch mit dieser Reichweite können nach wie vor Ziele im Hinterland der UdSSR von in Westeuropa stationierten Flugzeugen ereicht werden. Die Frage ist von beiden Seiten lange Zeit öffentlich nicht in den Vordergrund gestellt worden. Doch durch die Planungen der Nato zur Stationierung weitreichender atomarer Abstandsraketen auf Flugzeugen in Westeuropa erhält sie neue Brisanz.

Die UdSSR hat im Laufe der START-Verhandlungen schließlich auf jegliche Verknüpfung eines Abkommens mit der SDI -Problematik und dem Raketenabwehrvertrag (ABM) von 1972 verzichtet. Die USA haben hier völlig freie Hand. Während Washington auf der Ausklammerung seegestützter Arsenale beharrt und bei Bombenflugzeugen und ihrer Bewaffnung eine Zählweise durchgesetzt hat, durch die 75 Prozent der atomaren Sprengköpfe von einem Vertrag unberücksichtigt bleiben, ist Moskau zur 50prozentigen Reduzierung seiner wichtigsten Arsenale, der von Washington als „Hauptbedrohung“ empfundenen landgestützten Interkontinentalraketen (SS 18 u.a.) bereit. Und das will die Bush-Administration dem Kongreß und der amerikanischen Öffentlichkeit als „großen Erfolg“ der START-Verhandlungen verkaufen.

Tatsache ist, daß der START-Vertrag nach jetzigem Verhandlungsstand nur eine knapp 15prozentige Reduzierung statt der seit Jahren versprochenen Halbierung der Arsenale beider Großmächte bringen wird. Bush ist in Erklärungsnöten, zumal vor dem Gipfel mit Gorbatschow vom 30. Mai bis 3.Juni. Letzterer wird dieses magere Ergebnis für alle Welt offensichtlich machen. Die Legende jedenfalls von einer Verhärtung der sowjetischen Position dient einzig der Schuldzuweisung im Vorfeld des Gipfels.

Auch bei C-Waffen viel Rauch

Ähnlich verhält es sich bei den Chemiewaffen. Haupthindernis bei den multilateralen Genfer Verhandlungen für ein weltweites Verbot dieser Massenvernichtungsmittel ist seit Jahren die Weigerung Washingtons, die eigene Binärwaffenproduktion einzustellen bzw. bereits produzierte Vorräte zu vernichten. Unter Verweis auf diese Haltung der USA sowie auf regionale Bedrohungen rechtfertigt eine wachsende Zahl von „Drittwelt„-Staaten ihre Option auf eigene Chemiewaffen - was wiederum dem Pentagon zur Begründung für die auf unabsehbare Zeit notwendige Aufrechterhaltung eines „einsatzfähigen binären Abschreckungspotentials“ dient.

Bei den parallel laufenden bilateralen Chemiewaffenverhandlungen haben Moskau und Washington zwar bereits im Herbst letzten Jahres einen (inzwischen abgeschlossenen) Datenaustausch sowie (im Juni beginnende) gegenseitige Inspektionen ihrer Vorräte vereinbart. Doch auch hier scheitert eine Vereinbarung über das „Eindampfen“ der rund 32.000 Tonnen US-amerikanischer und 50.000 Tonnen sowjetischer Kampfstoffe auf jeweils 5.000 Tonnen bislang an Washingtons Weigerung, parallel dazu die Binärwaffenproduktion einzustellen. Bereits in der ersten von inzwischen 15 Verhandlungsrunden lag diese sowjetische Forderung auf dem Tisch. Finden die beiden Außenminister Baker und Schewardnadse bei ihrem heutigen Treffen nicht noch einen Kompromiß, dürfte beim Washingtoner Gipfel nicht einmal eine C-Waffenvereinbarung unterschrieben werden.

Ganz zu schweigen von Wien

Die heutigen Hauptprobleme bei den Wiener Verhandlungen über konventionelle Waffen in Europa (VKSE) waren auch schon im September 1989 die gleichen: Truppenstärken und Kampfflugzeuge. Für die UdSSR und die meisten anderen Staaten des Warschauer Paktes (WVO) ist die Situation heute noch problematischer als vor acht Monaten. Denn die Weigerung der Nato-Staaten, schon in einem ersten Wiener Abkommen außer für US- und UdSSR-Truppen in Zentraleuropa auch für die Streitkräfte anderer Staaten (und damit auch für die Bundeswehr) Vereinbarungen über Personalstärken zu treffen, ist angesichts der mitteleuropäischen und deutsch -deutschen Entwicklungen problematisch. Die Position Moskaus, bestimmte Militärflugzeuge aus der Kategorie „Kampfflugzeuge“ herauszuhalten, ist aus abrüstungspolitischer Sicht abzulehnen und wird auch von Moskauer Bündnisländern nicht geteilt.

Doch auch diese sowjetische Haltung ist keineswegs neu. In diesem Kontext unterschlagen wird allerdings die Tatsache, daß die Nato durch eine Erhöhung ihres Kampfflugbestandes durch Verlegungen aus den USA nach Westeuropa sicherstellte, bei einer Einigung auf die von ihr vorgeschlagene Obergrenze von 4.700 nur ältere Modelle zu verschrotten. Keinem einzigen der modernen westlichen Kampfflieger würde auch nur ein Haar gekrümmt.

Vorhang zu für „open sky“

Nicht, wie behauptet, sowjetische Verhärtungen, sondern mangelnde Bereitschaft der Nato-Staaten sind zuguterletzt der Grund für das vorläufige Scheitern der „Open -sky„(„Offener Himmel“)-Konferenz, deren zweite Runde am 10.Mai in Budapest ohne den angepeilten Vertrag zu Ende ging. Obwohl sie als politisches Ziel die „Vertrauensbildung“ betonen, zeigten sich die Nato-Staaten letztlich nicht bereit, bei Aufklärungsflügen über WVO -Staaten gewonnene Erkenntnisse auch der anderen Seite zur Verfügung zu stellen. Da kann der sowjetische Wunsch, wonach das jeweils zu überfliegende und nicht das überfliegende Land die eingesetzten Flugzeuge und Aufklärungstechnologien bestimmen soll, leicht als „Rückfall in Geheimniskrämerei“ gebrandmarkt werden...

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