USA gedenken 400 Jahren Sklaverei: Schleppende Aufarbeitung
Mit Gedenkveranstaltungen wird an die ersten Sklaven in den USA erinnert. Doch sogar diese Erzählung ist geschönt und weist Lücken auf.
400 Jahre danach betrachten die USA den Tag als den Anfang der Sklaverei in Nordamerika. Historiker, Bürgerrechtler und Politiker haben Gedenkveranstaltungen organisiert. Und am kommenden Wochenende ist eine Freilassung von Schmetterlingen an dem Schauplatz geplant, an dem das Verbrechen gegen die Menschlichkeit begonnen haben soll.
Doch historisch war die Sache komplizierter. Zwar hat die Transaktion in Point Comfort tatsächlich stattgefunden. Aber sie war keineswegs der Anfang der Sklaverei in Nordamerika. Die hatte sich zu dem Zeitpunkt bereits über den Kontinent ausgebreitet. Europäische Kolonisten hatten amerikanische Ureinwohner versklavt. Spanische und portugiesische Schiffe deportierten bereits Menschen aus Afrika in die Karibik. Und in Florida und im heutigen South Carolina waren Spanier schon zuvor mit versklavten Afrikanern an Land gegangen. Eine spanische Expedition in South Carolina endete im November 1526 – fast ein Jahrhundert vor Point Comfort –mit einer Rebellion der Sklaven.
Die Lücken und Ungenauigkeiten rund um die Anfänge der Sklaverei in den heutigen USA sind keine Ausnahme. Wenn es um dieses dunkle Kapitel der US-Geschichte geht, ist der Sachstand vage, im günstigen Fall halbwahr und oft falsch. Die Grauzonen reichen vom Privaten bis zum Öffentlichen.
Finanzspekulation mit Sklaven – alle machten mit
Während weiße US-Amerikaner ihre europäischen Ursprünge feiern, trifft die systematische Zerstörung von Identität und Herkunft die Nachfahren der Sklaven bis heute empfindlich. Ihnen wurde die Kontrolle über ihr eigenes Leben genommen, ihnen wurden die eigene Sprache, die Religion, das Essen und die Musik verboten. Bis heute tragen viele von ihnen die Nachnamen der Sklavenbesitzer. Erst seit wenigen Jahren ist es möglich, mit Gentests und Ahnenforschung einzelne Teile ihrer zerstörten Familiengeschichten zurückzuerobern. Auch die öffentliche Bildung wagte sich nur vorsichtig an die Sklaverei heran. Die Museen über afroamerikanische Geschichte und die Sklaverei sind noch in ihren Anfängen.
Schwer tun sich die USA auch mit der Beschreibung des Einfluss der Sklaverei auf Wirtschaft und Politik. Offiziell war Sklaverei ein Problem der Südstaaten – als hätte nur ein kleiner Teil des Landes mitgemacht und mit profitiert.
1860, fünf Jahre vor dem Ende des Bürgerkriegs, waren Sklaven der größte einzelne Vermögenswert der USA. Ihr Wert überstieg den sämtlicher Manufakturen und Zugunternehmen zusammen. Die vier Millionen Menschen, die 1860 Zwangsarbeit leisten mussten, arbeiteten vor allem in den Südstaaten auf Baumwoll-, Tabak- und Zuckerrohrplantagen sowie vereinzelt auch im Eisenbahnbau. Aber auf ihren Schultern und mit ihrer Arbeit entstanden die Vermögen, die das Land prägten.
Es gab keine großen Unternehmen, die nicht in das Geschäft involviert waren. Die New Yorker Versicherungskonzerne verkauften Policen an Sklavenhalter, die ihren „Besitz“ absichern wollten. Banken quer durch die USA akzeptierten Sklaven als „Sicherheiten“ für Kredite und verkauften sie weiter, wenn ihre Kunden zahlungsunfähig waren. Und auch Universitäten spekulierten mit Sklaven. So verkaufte die jesuitische Georgetown Universität im Jahr 1838 insgesamt 272 Personen nach Louisiana, um Schulden zu tilgen. Alle Häfen längs der Ostküste organisierten den transatlantischen Handel mit den Rohstoffen, die zu fast 100 Prozent von Sklaven produziert wurden.
Gesetze von damals wirken auch heute
Die Sklaverei schuf das Fundament für den US-amerikanischen Kapitalismus. Ihre Brutalität im Umgang mit Menschen hat die unternehmerische Kultur des Landes geprägt. Zugleich hat sie nachhaltige Spuren in den politischen Institutionen der USA hinterlassen.
So schrieben Sklavenhalter aus Virginia, die in Personalunion „Gründerväter“ der USA waren, in die Verfassung, dass die Südstaaten mehr Sitze im Repräsentantenhaus und damit auch in dem Electoral College (Wahlleutegremium) bekamen, das den Präsidenten wählt. Im Jahr 1787 schufen sie den „Drei-Fünftel-Kompromiss“: Der besagt, dass bei Volkszählungen, die sonst nur Weiße berücksichtigte, drei von fünf Sklaven als Personen gezählt würden. Somit hatten die Bundesstaaten mit vielen Sklaven eine hohe Bevölkerungsanzahl und konnten im Repräsentantenhaus dann mehr Sitze bekommen. Im 18. und 19. Jahrhundert sorgte das dafür, dass die Sklavenhalter im Kongress nicht von den Nordstaatlern überstimmt werden konnten. Im 20. Jahrhundert führte das System der Wahlmänner im Electoral College mehrfach dazu, dass Präsidenten ins Weiße Haus kamen, obwohl sie nicht die Mehrheit der Wählerstimmen hatten – auch Donald Trump.
Mit der Sklaverei hängen auch die Anfänge des „second amendment“ zusammen, das für den weitgehend unkontrollierten Zugang zu Schusswaffen sorgt. Der Verfassungszusatz entstand im Jahr 1791, als im benachbarten Haiti Sklaven erfolgreich gegen Frankreich rebellierten. Aus Furcht vor Aufständen und vor der Flucht ihres „Besitzes“ organisierten Plantagenbesitzer in den USA damals Milizen, die sie „Sklaven-Patrouillen“ nannten. Das Second Amendment verschaffte dem Recht der Milizen auf Bewaffnung Verfassungsrang.
Die Sklaverei währte bis 1865. Die USA haben länger mit ihr als ohne sie gelebt. Auf den Bürgerkrieg folgte nur eine kurze Phase der Aufbruchstimmung. Und danach ein Rückfall in mehr als ein halbes Jahrhundert von Repression im Zeichen der staatlichen Segregation.
Erst in den 1950er und 60er Jahren erkämpfte die schwarze Bürgerrechtsbewegung neue Rechte. Aber ihre Arbeit ist noch längst nicht abgeschlossen. Das zeigt sich unter anderen in den Gefängnissen, bei der Polizeigewalt und bei der Armut, die überproportional Afroamerikaner treffen, und bei der Ideologie der „White Supremacy“, die mit dem aktuellen US-Präsidenten neuerlich erstarkt ist.
Von der „postracial“ Gesellschaft, die Journalisten im Jahr 2008 nach der Wahl von Barack Obama ausgerufen haben, sind die USA noch Lichtjahre entfernt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste