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US-Wirtschaftlobbys gespalten

Am Mittwoch stimmt das US-Repräsentantenhaus über die weltweit größte Freihandelszone Nafta ab / Alt- und Neuindustriegebiete mit unterschiedlichen Interessen  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Es ist ein Countdown in umgekehrte Richtung – Bill Clinton kann erst bei Nummer 218 aufatmen. So viele Stimmen benötigt der US-Präsident bis morgen im Repräsentantenhaus, um das North American Free Trade Agreement (Nafta), das Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko, über die erste parlamentarische Hürde zu heben. Schafft er es, muß das Vorhaben noch im Senat ratifiziert werden, wo nach allgemeiner Einschätzung weniger Widerstand zu erwarten ist. Schafft er es nicht, steht er vor einem politischen Debakel und es werden Zweifel daran aufkommen, wie ernst es die USA eigentlich mit dem Freihandel meinen. Doch trotz allem: Eine Abstimmungsschlappe für die Clinton-Administration muß keineswegs das Ende von Nafta bedeuten. Das Abkommen könnte nächstes Jahr erneut im Kongreß vorgelegt werden – mit einer anderen, besseren PR-Strategie. Zwölf Stimmen, so behauptete die Administration am Montag, würden zum Erfolg noch fehlen.

Gegner und Befürworter von Nafta finden sich bei Demokraten ebenso wie bei Republikanern. Aufschluß über die Motive gibt nicht die Parteizugehörigkeit, sondern die Herkunft der Repräsentanten. Im Streit um Nafta prallen vor allem die wirtschaftlichen Interessen und Ängste des „Rust Belt“, der Region alter Industriehochburgen im Mittleren Westen, und des „Sun Belt“ im Süden der USA aufeinander. In Rust-Belt- Staaten wie Michigan, Ohio oder Indiana, die vom Niedergang alter Produktionsbranchen wie der Stahlindustrie und von der Produktionsverlagerung der Autoindustrie geplagt werden, ist der Protest gegen Nafta am lautesten – und die Ohren der Repräsentanten, die nächstes Jahr zur Wiederwahl anstehen, folglich am sensibelsten. Mit Nafta, so befürchten hier die meisten, werden noch mehr Arbeitsplätze ins Billiglohnland Mexiko abwandern. Mit diesem Argument mobilisieren die im Mittleren Westen noch relativ stark vertretenen Gewerkschaften in einer wunderlichen Allianz mit dem texanischen Computer-Milliardär Ross Perot gegen Nafta.

Ganz andere Töne sind aus New Mexico, Arizona und vor allem Texas zu hören. Im zweitgrößten US- Bundesstaat, der einst mexikanisches Territorium war, werden heute rund 50 Prozent aller US- Exportgüter für Mexiko hergestellt. Hier bereiten sich lokale Baufirmen auf neue Autobahnprojekte und Hafeninstandsetzungen vor. Neben Texas wird vor allem auch Kalifornien von Nafta profitieren, doch dort ist die Stimmung gemischt. Ökologiegruppen, im Westen traditionell stark vertreten, opponieren gegen Nafta, weil sie befürchten, daß die in Mexiko kaum durchgesetzten Umweltschutzvorschriften auch den bereits erreichten Standard in den USA wieder drücken werden. In Nachverhandlungen hat die Clinton-Administration zwar ein Beschwerdegremium eingesetzt, in dem Einzelpersonen und Gruppen finanzielle Sanktionen gegen Verstöße gegen Umweltschutzbestimmungen und Arbeitsrechte vorbringen können.

Doch Öko-Gruppen wie Greenpeace, Earth First oder der Sierra Club sind – im Gegensatz zum World Wildlife Fund auf der Seite der Gegner zu finden.

Für manche Bundesstaaten sind die Prognosen gemischt. In Agrarstaaten wie South und North Dakota befürworten Maisproduzenten das Freihandelsabkommen, weil ihre Exportchancen vergrößert werden, Getreidefarmer protestieren, weil sie mit der kanadischen Konkurrenz um den Absatzmarkt im Süden konkurrieren müßten, was auf die Preise drückt. Einige „Protestecken“ hat Präsident Clinton inzwischen mit protektionistischen Extrageschenken zu befrieden versucht.

Eine eher stille Lobby für Nafta bildet der Dienstleistungssektor, der vermutlich am schnellsten von der Ratifizierung des Abkommens profitieren wird: US-Banken und Versicherungen hätten freie Bahn in Mexiko.

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