US-Wahl: Sonnenaufgang mit Obama
Im überfüllten Kino Babylon in Mitte feiern die Anhänger der Partei der Demokraten die Wahl ihres Helden Barack Obama zum neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Sheila Sowecke hat ein blaues Band ergattert. Ohne blaues Band kommt hier keiner rein, denn das Babylon ist brechend voll. Die Anwältin aus Seattle ist zu Besuch in Berlin und furchtbar aufgeregt, dass sie die Wahlnacht hier verbringen wird. Achthundert Karten seien verkauft, etwa tausend Gäste drin, ist aus den gehetzten Gesprächsfetzen der Organisatoren zu hören.
In der Nacht der großen US-Wahl geht es bei der Wahlparty "Watch the Sunrise with US" der Democrats Abroad, der Anhänger der Partei der Demokraten im Ausland, drunter und drüber. Mit so einem Andrang im Babylon-Kino an der Rosa-Luxemburg-Straße hatte keiner gerechnet. Schließlich sind die Partys der letzten Jahre noch in wesentlich kleinerem Rahmen gefeiert worden.
"Ich weiß, die Welt schaut auf die Vereinigten Staaten", sagt Sheila Sowecke, und hier in Berlin sei sie plötzlich Teil dieser Welt. Alles fühle sich gerade so bedeutend an - auch wenn die Dekoration hier an amerikanischen Standards gemessen nun wirklich dürftig sei.
Ein Stückchen Amerika hat Einzug gehalten in dem Gebäude des alten Kinos: Luftballons schwappen den Besuchern entgegen, der Eingangsbereich ist mit einem überdimensionalen Obama-Logo aus weißen, roten und blauen Krepppapierrüschen dekoriert. Obama ist überall. Auf T-Shirts, Buttons, Fähnchen. Ein paar Schritte weiter, im Eingangsbereich, gibt es Hot Dogs, Chili Cheese Dogs und Obama Dogs. Für 3,50 Euro soll man hier den Held des Abends mit Chili und Ananasstückchen übergossen bekommen. Nachfrage zu der außergewöhnlichen Mischung gebe es schon, sagt der Verkäufer, leider seien aber die Ananasstücke nicht rechtzeitig geliefert worden.
"Historisch", empfindet Oliver Bradley die Wahl, aber trotzdem "völlig überbewertet". Auf den ersten Blick betrachtet hat der in Berlin lebende Bradley einige verblüffende Gemeinsamkeiten mit Obama: Er kommt aus Illinois - Obamas momentaner Heimat - er hat die gleiche Figur, die gleiche Frisur und den gleichen Hautton wie der neue Präsident.
Als einer der wenigen trägt aber gerade Bradley keinen Obama-Button. Und auch der Bradley-Effekt - wonach ein schwarzer Politiker in Umfragen vorne liegt, bei der tatsächlichen Wahl dann aber verliert - ist ihm trotz der Namensverwandschaft nicht bekannt. Das ganze Gerede um einen schwarzen Kandidaten sei einfach zu viel. "Obama is going to verzetteln sich", sagt Bradley und nickt mit ernster Miene. McCains Versprechungen seien einfach glaubwürdiger als Obamas. Zu der Veranstaltung der Republicans Abroad in der Kneipe Wahlkreis will er trotzdem nicht gehen. Es ist Bradleys erste Wahlparty, und die will er entsprechend groß feiern.
Bradley sitzt im Kinosaal des Babylon, in dem eine Bühne und eine Leinwand für die Übertragung aufgebaut sind. Die Nacht ist lang und die Democrats Abroad geben sich alle Mühe, die Zeit zwischen den Hochrechnungen humorvoll zu gestalten. Eine Gruppe Hula-Tänzer beschwört hawaiianische Stimmung, in einer fiktiven Kandidatendebatte wird die Frage erörtert, ob Esel strippen sollten oder nicht. Das Publikum wählt - die Pro-Strip-Esel-Vertreter gewinnen. Wenn die echte Wahl auch mal so einfach wäre. Gegen zwei Uhr nicken die ersten ein. Als dann gegen drei Uhr die Wahlergebnisse aus Pennsylvania eintrudeln, bricht kollektives Jubelgeschrei aus. Ohio folgt und Florida. Als die Nachrichten um fünf Uhr morgens den Gewinner verkünden, reißt es auch die schläfrigsten Besucher von den Sitzen. Jubelrufe und glückliches Lachen schallen durch den Kinosaal. Langsam sickert das Bewusstsein in die Köpfe: Obama wird wirklich Präsident.
Unter den letzten Feiernden sind nicht nur Amerikaner. "Ich bin eigentlich gar nicht so politisch", sagt Katja Malinowski, "aber diese Wahl ist einfach ein intensives Erlebnis." Die 26-Jährige gehört zu den wenigen deutschen Besuchern des Abends. Einige seien zwar nur hier, um mit Bier den letzten Tag Bushs zu feiern. "Ich freue mich eher, diesen historischen Moment des Neuanfangs miterleben zu können", sagt Malinowski.
Auch vor den Türen des Babylon geht es trotz Kälte euphorisch zu. Gut zweihundert Leute, die keine Karte abbekommen haben, schieben und drängeln sich um den Eingangsbereich. Die Menge ist hartnäckig und immer wieder stoßen neue Leute dazu. Alle wollen sie dabei sein, in der historischen Nacht. Auf einem Segeltuch werden Bilder der Wahl übertragen, es riecht nach Zigaretten und Glühwein. Sarah Schmidt ist mit ihren Freunden von der Wahlparty im White Trash Fast Food gekommen. "Wir bleiben bis zum Ende", sagt die New Yorkerin. Die Musikerin lebt seit vier Jahren in Berlin. In dieser Zeit hat sie immer wieder den Antiamerikanismus vieler Deutscher gespürt. An Obama knüpft sie die Hoffnung " von nun an wieder positiv in der Welt angesehen zu werden".
Am nächsten Morgen um neun Uhr sind die Tore des Babylon geschlossen. Fähnchen werden zusammengefegt, Glühweinbecher weggeräumt. Nur eine kleine Gruppe betrunken-glücklicher Menschen ist immer noch da und feiert - den Sonnenaufgang für ihren neuen Helden.
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