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US-Ökonom über Griechenland„Das soziale Netz ist zerrissen“

Barry Eichengreen befürwortet eine Lockerung der Sparauflagen für Athen, ohne sie aufzugeben. Die EU sollte Griechenland im Euro halten, fordert er.

Der Unmut über EU-Kürzungsprogramme wächst in Griechenland: Proteste von Bergarbeitern vor dem Parlament in Athen. Bild: dpa
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

taz: Fast jeder fünfte Grieche hatte in den Jahren 2011 und 2012 nicht genug Geld um Lebensmittel zu kaufen, so die Industrieländerorganisation OECD. Was sagt das aus über das europäische Sanierungsprogramm für Griechenland?

Barry Eichengreen: Dieses Programm ist fehlgeschlagen. Denn eine Folge war, dass Griechenland einen ökonomischen Einbruch erlebte, der sich mit der großen Depression der 1920er Jahre vergleichen lässt. Wie man an den OECD-Zahlen sieht, ist dabei das soziale Netz zerrissen. Auch in politischer Hinsicht führte die Sanierungsstrategie zum Misserfolg: Radikale linke und rechte Parteien hatten bei der Parlamentswahl starken Zulauf.

Der griechischen Regierung geht das Geld aus. Würden Sie der Europäischen Union raten, Athen wieder einmal aus dem Schlamassel zu helfen und einfach ein paar Milliarden Euro zu überweisen, um den Staatsbankrott zu verhindern?

Beide Seiten sollten sich darauf konzentrieren, eine tragfähige Vereinbarung auszuarbeiten. Dafür, dass das seit dem Amtsantritt der griechischen Regierung von Alexis Tsipras nicht gelungen ist, trägt die EU eine Verantwortung. Sie hat ein zu umfangreiches, neues Sanierungsprogramm in zu kurzer Frist verlangt. Aber auch das Verhalten der griechischen Regierung ist Teil des Problems. Sie hätte besser auf ihre scharfe Rhetorik verzichtet und stattdessen genau dargelegt, wie sie das nötige Geld selbst beschaffen will.

Als eine Voraussetzung für weitere Finanzhilfen wünschen die EU-Kommission, der Internationale Währungsfonds und die Europäische Zentralbank einen plausiblen Sanierungsplan. Was finden Sie falsch daran?

Die Institutionen der Geldgeber verlangten, dass Athen einen Primärüberschuss im Staatshaushalt von 4,5 Prozent anstreben sollte. Die griechische Regierung bot 1,5 Prozent an. Angesichts der sozialen Lage in Griechenland halte ich diese Zahl für realistischer. Die Verständigung auf einen nur kleinen Haushaltsüberschuss wäre ein guter Kompromiss. Einerseits würde die Politik zur Sanierung der Staatsfinanzen fortgesetzt, andererseits stünde der Regierung aber auch ein gewisser Spielraum zur Verfügung, um die soziale Lage der Bevölkerung zu verbessern.

In Ihrem Buch über die Depression der späten 1920er Jahre und die Finanzkrise ab 2007 schreiben Sie, dass Griechenland „eine sparsamere Finanzpolitik" brauche. Das Programm aber, das die EU dem Land aufdrückte, ist Ihnen zu hart?

Ja, Griechenland hat in den vergangenen fünf Jahren ein Austeritätsprogramm absolviert, wie kein anderes europäisches Land. Ein Viertel der Wirtschaftsleistung ist verlorengegangen. Die Griechen haben gezeigt, dass sie den Gürtel enger schnallen können, wenn es sein muss. Deshalb sollte man ihnen vertrauen, dass sie auch künftig das Nötige tun.

Bild: University of California
Im Interview: Barry Eichengreen

Barry Eichengreen, 62, ist einer bekannstesten liberalen Ökonomen der USA. Er lehrt und forscht an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Gerade erschien sein Buch „Hall of Mirrors“, in dem er die Große Depression der 1920er Jahre mit der Finanzkrise ab 2007 vergleicht und die Reaktionen auf beide analysiert. Zuvor veröffentlichte er „Exorbitant Privilege“ über die schwindende Rolle der Weltwährung US-Dollar.

Im Buch vergleichen Sie die beiden großen Finanzkrisen. Ihre These: Wir haben gelernt, aber nicht genug. Welche Lektion ignorierten Politiker und Ökonomen?

Anfangs wurde vieles richtig gemacht. Mit expansiver Finanzpolitik haben die Regierungen in Nordamerika und Europa verhindert, dass die Wirtschaftsleistung noch stärker einbrach. Ab 2010 sind sie allerdings zu schnell auf die Bremse getreten. 2011 und 2012 senkten die Staaten im Euroraum ihre Defizite, obwohl die Krise noch nicht vorbei war. Deshalb griff eine weitere Rezession um sich. Das hat Europa zu verantworten, nicht Griechenland.

Sollte Europa das Risiko eingehen, dass Griechenland den Euro verlässt?

Auf keinen Fall. Griechenland hat schon sehr gelitten und würde durch den Ausstieg noch mehr leiden. Aber auch das europäische Projekt würde großen Schaden nehmen. Es wäre klar: Wenn ein Land ausscheidet, kann das auch anderen Staaten passieren.

Warum ist Europa die Anstrengung wert?

Die europäische Einigung ist ein großer Fortschritt. Es ist besser, wenn die Staaten sich gegenseitig verstehen und helfen. Kooperation statt Konflikt - das ist das Prinzip des gemeinsamen Europa. Das sollte man nicht auf's Spiel setzen.

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3 Kommentare

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  • Richtig und das System hat funktioniert bevor Deutschland und die Junker EU sich eingemischt hat. Und das System würde auch in Deutschland noch funktionieren wenn man den Mittelstand zugunsten der Großkonzerne nicht vernichten würde.

  • Kooperation statt Konflikt? Das klingt, als würden US-Amerikanische Ökonomen Elinor Ostrom und Bücher über Commons lesen. Die Lösung ist nicht, die marode Wirtschaft anzukurbeln und anachronistisches Wachstum zu fördern, sondern den Menschen in seinen Grundbedürfnissen so unabhängig wie möglich von einer Weltwirtschaft und einer Politik zu machen, die zu fantasielos sind, ein anderes Lebensziel als den finalen Wachstumskollaps überhaupt nur zu denken.

    • @Jakob Bauer:

      Die Griechen sollen Jäger und Sammler werden?