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US-Angriff nach Völkerrecht fragwürdig

UN-Charta sieht Selbstverteidigungsrecht nach Militärangriff, aber nicht militärische Vergeltung von Straftaten vor

KARLSRUHE taz ■ Generell enthält die UN-Charta ein Gewaltverbot. Konflikte sollen nicht militärisch ausgetragen werden. Die Charta gibt allerdings einem Staat, der militärisch angegriffen wird, ein Selbstverteidigungsrecht. Das Verteidigungsrecht hängt aber davon ab, dass der Angriff noch fortbesteht, zum Beispiel weil Kampfhandlungen andauern oder das Territorium noch besetzt ist. Im vorliegenden Fall könnte ein andauernder Angriff vorliegen, wenn weitere Attentate unmittelbar bevorstehen. Belege hierfür wurden bisher nicht vorgelegt.

Die USA nehmen jedoch, ähnlich wie Israel, ein „präventives Selbstverteidigungsrecht“ für sich in Anspruch, das nicht dem weltweit akzeptierten Stand des Völkerrechts entspricht. Nach ihrer Ansicht können potenzielle Angreifer auch im Vorfeld von Attentaten ausgeschaltet werden. Sie können sich immerhin auf Bin Ladens Dschihad-Erklärung stützen.

Ein weiteres Problem ist die Wahl des Kriegsgegners. Das Taliban-Regime selbst hat die USA nicht angegriffen. Ihm wird nur die Beherbergung und Unterstützung von Bin Ladens Terror-Zentrale vorgeworfen. Für einen Militärschlag, der sich auf das Selbstverteidigungsrecht stützt, reicht dies nicht aus. Ussama Bin Laden ist dagegen ein politisch motivierter Straftäter, dessen Schuld in einem Strafprozess festgestellt werden müsste, der aber von Afghanistan nicht ausgeliefert wird. Nach dem Völkerrecht, das kein Recht auf militärische Vergeltung von Straftaten kennt, kann ein solcher Prozess aber nicht durch einen Militärschlag ersetzt werden. Die sofortige Todesstrafe per Cruise Missile ist in der UN-Charta nicht vorgesehen.

Die Charta schreibt vielmehr vor, dass alle Maßnahmen, die nicht vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt sind, eines Mandats des UN-Sicherheitsrats bedürfen. Die Staatengemeinschaft müsste bei völkerrechts-konformem Vorgehen also nicht tatenlos bleiben. Verhindert werden soll, dass das Gewaltverbot der UN-Charta durch Alleingänge ausgehöhlt wird und Konflikte unkontrolliert eskalieren.

Bisher hat sich der UN-Sicherheitsrat zweimal mit Maßnahmen gegen die Taliban und Bin Laden beschäftigt, am 11. und am 28. September. In beiden Resolutionen wurden keine konkreten Maßnahmen wie die jetzigen Luftangriffe autorisiert (siehe taz vom 2. 10. 2001). Allerdings hat bisher auch kein Mitglied des UN-Sicherheitsrats gegen die jetzt begonnenen Anschläge protestiert. CHRISTIAN RATH

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