: UNTERM STRICH
In der jüngsten Ausgabe der vom ostdeutschen Schriftstellerverband herausgegeben Zeitschrift „neue deutsche literatur“ veröffentlichten Gespräch deutet Stephan Hermlin an, daß offenbar auch der einstige Staats- und Parteichef Erich Honecker von der Staatssicherheit abgehört worden ist. Es habe Zeiten gegeben, da habe ihn Honecker öfter mal angerufen, „um mich nach meiner Meinung zu fragen“, was allerdings in den letzten Jahren seltener geworden sei. „Da passierte einmal folgendes: Nachdem wir eine kleine Weile miteinander gesprochen hatten, schrie er plötzlich in den Hörer: ,Da ist doch schon wieder jemand in der Leitung...!'“ Die Damen des Honecker-Vorzimmers seien „natürlich allesamt Offiziere der Staatssicherheit“ gewesen. Honecker selber habe sich in den letzten Jahren sehr verändert. „Obwohl er sich mir gegenüber unverändert freundlich gab, reagierte er, wie ich feststellen mußte, auf kritische Hinweise zusehends gereizter.“ So sei er ihm manchmal mit sehr lauter Stimme plötzlich ins Wort gefallen „und fing an, von etwas total anderem zu reden — ich konnte von einer reinen DDR-Angelegenheit sprechen, da begann er ohne jeden Übergang und vor allem überaus laut von einer Reise nach Afrika zu berichten...Sehr seltsam war das.“ (Vielleicht wollte man damit die Wanzen täuschen, die inheimischen?) Trotz der „sehr guten Beziehungen“ sei er nie mit Honecker privat, etwa draußen in Wandlitz, zusammengetroffen, „obschon es dort noch andere alte Freunde aus der gemeinsamen Zeit des antifaschistischen Widerstandes gab, die mir an sich gut gesinnt waren“, wie zum Beispiel Hermann Axen. „Aber keiner von ihnen hat jemals daran gedacht, mich etwa zu sich einzuladen oder gar bei mir auf einen Kaffee vorbeizukommen. Das gab es einfach nicht.“ Hermlin konnte nach eigenen Angaben seit 1958 über drei Jahrzehnte lang im damaligen SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ keinen Artikel veröffentlichen, bis zum 50. Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938. Er habe einflußreiche Widersacher gehabt, wie Alfred Kurella, den Leiter der Kommission für Fragen der Kultur beim Politbüro, den früheren Kulturminister Alexander Abusch und dessen Stellvertreter Hans Rodenberg. Deren Sympathien und nahezu des gesamten Politbüros habe er sich durch eine Autorenlesung 1962 in der Akademie verscherzt, deren Sekretär der Literaturabteilung e damals war. Er hatte die Texte von unliebsamen und in der damaligen DDR bis dahin nicht publizierten Autoren vorgestellt und wurde danach seines Amtes enthoben und mit einem Publikationsbann auch in anderen Medien belegt. Damals habe es Verfügungen gegeben, „daß mein Name für Presse, Rundfunk und Fernsehen zum Tabu und ich selber zur Unperson wurde...Während einiger Jahre gab es mich schlicht nicht mehr“. Auch ihm sei es passiert, „daß abends oder nachts draußen, vor dem Haus, plötzlich zwei Wagen parkten und samt Besatzung dort geparkt blieben“. Auch anonyme Anrufe habe es gegeben, wie zum Beispiel während der Biermann-Affäre 1976.
Hermlin gab in dem Interview nicht an, ob er die Veröffentlichung eine Erzählung über diese Vorgänge plant, zum Beispiel unter dem Titel: „Wer parkt“.
Am 19. November wäre Anna Seghers 90 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlaß wird in ihrer Heimatstadt Mainz am 17. November eine Ausstellung mit dem Titel "Anna Seghers 19.11.1900-01.6.1983" eröffnet. In der Berliner Akademie der Künste erfährt man am 18. November um 19.30 Uhr "Anna Seghers 1990 - Wie ihre Kollegen sie heute sehen". Der Luchterhand Verlag, der Anna Seghers Bücher in der Bundesrepublik veröffentlichte, erinnert mit einem Materialband "Das siebte Kreuz von Anna Seghers, Texte, Daten, Bilder" an den Geburtstag seiner Autorin.
Auch Bastei in Bergisch-Gladbach feiert einen Geburtstag. Seit 30 Jahren jagt Jerry Cotton "Killer nach Maß" und "Spezialisten für Blut". 60 Millionen Cotton-Hefte verkauft der Verlag im Jahr. Damit ist Cotton der erfolgreichste Krimiheld, der je in Deutschland erfunden wurde.
Der Präsident des sowjetischen PEN- Clubs, Daniil Granin, hat die Politisierung der Kunst in seiner Heimat beklagt. Bei seinem ersten Besuch im vereinigten Deutschland sagte er am Montag abend in der Akademie der Künste Berlin Ost, der „Organismus Literatur“ sei in der UdSSR krank, weil die Politik die Künstler voll in Anspruch nehme. Es gebe Schriftsteller, die den „ganzen Tag Zeitung lesen oder vor dem Fernseher sitzen“. Romane und Gedichte würden kaum noch geschrieben. Der Leningrader Autor und Deputierter des Volkskongresses hat sich nach eigenen Angaben vom aktuellen Tagesgeschehen „isoliert“, um wieder schreiben zu können. Die Probleme der Schriftsteller in der UdSSR könne der 10 000 Mitglieder starke Schriftstellerverband zur Zeit nicht lösen. Die Buchpreise seien im Zuge der Perestroika stark gestiegen, und rund70 Prozent der von den Verlagen geplanten Literatur könnten überhaupt nicht mehr abgesetzt werden. Granin, dessen Werke sich mit der Wissenschaft und der korrupten Verwaltungsmaschinerie auseinandersetzen („Dem Gewitter entgegen“, „Das Gemälde“), hat zuletzt das Buch „Der Genetiker“ veröffentlicht, in dem es um einen sowjeitischen Schriftsteller in der Weimarer Republik geht.
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