UN-Klimagipfel in Cancún: Beschwören und beschönigen
Beim UN-Klimagipfel mühen sich die Teilnehmer zunächst um eine kuschelige Atmosphäre: Man zeigt guten Willen und zieht großzügig Bilanz.
CANCÚN taz | Christiana Figueres beschwört die Geister. "Möge Ixchel Sie inspirieren", wünschte die neue Chefin des UN-Klimasekretariates den Teilnehmern des Weltklimagipfels im mexikanischen Cancún zum Auftakt. Ixchel sei nicht nur die Maya-Göttin des Mondes, sondern vor allem die Göttin der Vernunft, der Kreativität sowie des Webens. "Sie sind in Cancún, um die Elemente einer wirksamen Antwort für das Klimaproblem zu verweben", sagte Figueres. "Nutzen Sie dabei Vernunft und Kreativität."
Die Beschwörung scheint Erfolg zu haben. US-Verhandlungsführer Jonathan Pershing betonte am Mittwoch zum dritten Mal, wie einig er sich mit seinen chinesischen Kollegen sei: "Unsere Differenzen sind überwunden."
Der letzte Gipfel in Kopenhagen vor einem Jahr war im Wesentlichen an der Uneinigkeit der beiden weltgrößten Emittenten gescheitert. Das Ergebnis, der sogenannte Copenhagen-Accord, wurde von den Delegierten nicht verabschiedet, sondern nur "zur Kenntnis" genommen. Damit ist das Papier, in dem sich die Staaten verpflichten, die Erderwärmung auf maximal 2 Grad zu begrenzen, kein völkerrechtlich bindendes Abkommen und auch keine offizielle Verhandlungsgrundlage in Cancún.
Doch mittlerweile haben 140 der 194 Staaten erklärt, dass sie sich der "Übereinkunft von Kopenhagen" anschließen, die 80 wichtigsten Länder haben ihre Ziele zur eigenen Reduktion der Treibhausgasemissionen beim UN-Klimasekretariat hinterlegt. Pershing sagte dazu: "Die US-Regierung hält an ihre Zusagen fest, ihre Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 17 Prozent im Vergleich zu 2005 senken." In Mexiko sollen diese freiwilligen Selbstverpflichtungen formell in den Verhandlungsprozess integriert werden. Einfach wird das nicht, zumal vielen Ländern schon das 2-Grad-Ziel nicht weit genug geht. "Schon ein Temperaturanstieg um 1 Grad zerstört viele unserer Korallenriffe", sagt Carlos Fuller aus Belize, der für die Gemeinschaft der englischsprachigen Karibik-Länder spricht. Allerdings halten es Wissenschaftler nicht mehr für realistisch, die Erderwärmung deutlich stärker zu begrenzen. Zuletzt stiegen die weltweiten Emissionen stark, und Kohlendioxid ist ein sehr langlebiges Klimagift: Was heute in die Atmosphäre gelangt, bleibt dort 100 Jahre wirksam.
Und so ist die von Klimachefin Figueres angemahnte Kreativität gefragt. Allerdings nicht so, wie die Europäische Union es am Dienstag versuchte. Auf einer Pressekonferenz zog sie eine Bilanz ihrer kurzfristigen Klimahilfen für ärmere Staaten - die sofortige Finanzhilfe für Entwicklungsländer ist einer der Kernpunkte in Cancún. Mit insgesamt 30 Milliarden US-Dollar (23 Milliarden Euro) aus den Industriestaaten sollten diese von 2010 bis 2012 in die Lage versetzt werden, sich an die ersten Folgen der Erderwärmung anzupassen. 7,2 Milliarden Euro davon hatte die EU insgesamt zugesagt, 2010 investierte sie 2,2 Milliarden. Deutschland finanzierte rund 50 Projekte, darunter Solarkraftwerke in Brasilien und ein Flutwarnsystem in Mosambik.
Die Summe von 2,2 Milliarden Euro halten Entwicklungshilfe-Organisationen aber bereits für kräftig schöngerechnet: Denn gut 52 Prozent der Zusagen sind gar kein richtiges Geld, sondern nur Kredite, die zurückgezahlt werden müssen - mit wenn auch günstigen Zinsen. Diese seien aber völlig ungeeignet, den armen Ländern zu helfen, kritisierte beispielsweise Oxfam. Die Entwicklungszusammenarbeit zeige ja gerade, dass Kredite arme Länder noch tiefer in die Schuldenfalle treiben können, so Oxfam-Sprecherin Lucy Brinicombe.
Greenpeace-Klimaexperte Tove Ryding sagte, Kredite seien ohnehin eine seltsame Idee, ärmeren Ländern zu helfen, die den Klimawandel doch nicht verursacht hätten: "Das wäre ja das Gleiche, als würde ich mit meinem Auto in deines fahren und dir dann einen Kredit anbieten, um den Schaden reparieren zu lassen." Offenbar war die EU-Buchhaltung zu sehr von Maya-Göttin Ixchel beeinflusst.
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