: UMRÜSTUNG
Der letzte Rest vom Schützenfest ■ VON MATHIAS BRÖCKERS
Noch steht nicht fest, wer 1990 als „Gurke des Jahres“ in die Peinlichkeits-Annalen eingeht, einen Spitzenplatz in der Anwärterschaft aber hat sich jetzt schon DDR –Verteidigungsminister Eppelmann erkämpft: Im allgemeinen durch seinen Abstieg vom radikalen Pazifisten zum gemeinen Militär-Pfaffen und im besonderen durch den Begriff, mit dem er die „Beschaffungsverpflichtung“ der Nationalen Volksarmee belegt hat: „Ich möchte einfach versuchen, den Punkt dahingehend zu setzen, daß das keine Nachrüstung, sondern Restrüstung ist.“ Restrüstung – lassen wir sie uns auf der Zunge zergehen und ab damit ins Wörterbuch des Entsorgungsmenschen. Künftig wird „1 Eppelmann“ für die Geschwindigkeit stehen, mit der man den letzten Anstandsrest an Entrüstung verliert.
Mindestens ebenso unerträglich wie der amtierende Restrüstungs-Minister sind freilich jene West-Kollegen, die auf einem Milliardengebirge von scharfem Kriegsspielzeug und Nato-Firlefanz hockend sich jetzt lauthals entrüsten. Verglichen mit ihnen hat ein Eppelmann hundertmal recht, wenn er betont, daß die DDR „Europameister in der Abrüstung“ sei. Um zu verstehen, daß es sich bei der Regierung Kohl um eine personelle Altlast handelt, die schleunigst im Endlager Tessin oder sonstwo entsorgt werden muß, genügt ein Blick auf den neuen Militär-Etat: keine müde Mark wird im kommenden Jahr eingespart, nur ein paar billige Buchungstricks verschleiern die Tatsache, daß in der Bundesrepublik 1991 nicht nach- oder rest-, sondern weiter aufgerüstet wird. Darüber kann auch das Zugeständnis an die geburtenschwachen Jahrgänge – die Verkürzung der Wehrdienstzeit – nicht hinwegtäuschen, das die Bonner PR –Herolde als „Friedenssignal“ verkaufen. 45 Jahre nach Beginn des kalten Kriegs läuft das military business as usual, so logisch und selbstverständlich, daß kein Kohl, kein Bush, kein Mitterand je in die Lage kommen, sich wie Eppelmann auf Lieferverträge und Kaufvereinbarungen, auf „Beschaffungsverpflichtung“ also, berufen zu müssen.
Nun läßt sich, zurückgelehnt im wohltemperierten Schatten, die uniforme Dummheit und kalte Brutalität des Kriegsgeschäfts trefflich geißeln. Nichts leichter als der Nachweis, daß es sich beim Militär um einen nimmersatten, Blut und Schweiß der Völker saugenden Parasiten handelt oder daß der potentielle Mord zur Qualifikation des Soldaten gehört wie das Rattengift zum Handwerkszeug des Kammerjägers. Daß sich dann gleich ein ehrabgeschnittener „Bürger in Uniform“ findet und dieser einen Amtsrichter, der den Kritiker mit 30 pazifistischen Tagessätzen adelt, macht die Sache nicht besser – im Gegenteil. Es ist das alte Anti –Spiel, die Contra-Dialektik, die letztlich nur stärkt, was sie doch untergraben will: die Moral der Truppe. (Nietzsche hat es so ausgedrückt: „Wer davon lebt, einen Feind zu bekämpfen, hat ein Interesse daran, daß er am leben bleibt.“) Warum haben 2.000 Jahre Anti-Militarismus nicht gefruchtet? Weil man nicht „Nie wieder Krieg!“ rufen darf, ohne zu sagen, was denn stattdessen stattfinden soll, weil „Weg mit dem Militär“ und „Entrüstet Euch!“ zu trompeten unsinnig ist, wenn nicht gleichzeitig die Alternative benannt wird. Wohin mit den ganzen Soldaten, was tun mit dem tödlichen Mordgerät und dem Heer seiner Produzenten?
Im therapeutischen Rahmen dieser Kolumne – Patentrezepte für die Weltheilung auf 104 Zeilen (seit der Gesundheitsreform im taz-Layout dürfen es auch schon mal ein paar mehr sein) – muß die Frage so gestellt werden: Wie verhält sich ein Körper, wenn ihm plötzlich klar wird, daß gut ein Drittel seines Saftes von einem gigantischen Parasiten abgesaugt wird? Er kann sich dieser gefährlichen Wucherung genauso schwer entledigen, wie der haushaltende Wirt von einem ekligen Gast, der für ein Drittel des Umsatzes sorgt. Selbst wenn dieser die Kneipe anzustecken droht – wohin mit dem Personal, wohin mit den überschüssigen Energien? Der Parasit ist fürs erste unverzichtbar – er muß integriert werden. Wie integrieren wir einen Kampfpanzer „Leopard“? Es gilt, eine alte Neuss-Idee ins Gedächtnis zu rufen, die außer Gorbatschow offenbar niemand wahrgenommen hat: „Die Abrüstung wird ein Geschäft, sie muß ein Geschäft werden, sonst gelingt sie nie.“ Die Sowjetunion zeigte unlängst auf einer Ausstellung in München (Converse90“), wie militärische Güter zum zivilen Gebrauch umfunktioniert werden können: „Wir können mit den umgerüsteten Waffen, aus 20 Jahren Lagerung, eine Million neue Stahlwälder anlegen. Wälder aus Stahl, die von sieben Millionen Malern undsoweiter für Kinder begehbar gemacht werden... Ich hab mir schon sieben Patronenhülsen zu Jointhaltern umgebaut, und seitdem überhaupt niemand mehr schießen will, sah ich einige Landser bei Kaiserslautern den Starfighter – oder war es ein Panther? – zu einer Latrine umbauen. Auf diese Waffen war ein fröhlich Scheißen. Doch besser ist, wir brauchen sie auf. Denk mal nach.“ (Wolfgang Neuss: „Arbeitsplatzbeschaffung“)
Sobald für Kunst mehr bezahlt wird als für Krieg, sobald die Ausstellung von Pershings profitabler ist als die Aufstellung und für den SS20-Bauer billig wird, was dem EG –Landwirt schon lange recht ist (daß kein Liter Milch höher subventioniert wird als ein Liter bezahlt) – kann sich Auf-, Nach- und Restrüstung niemand mehr leisten. Dafür aber jede Stadt ihren „Tornado“-Platz, jedes Kaff sein „Leo“-Denkmal und reichlich Bundeswehrgerät auf allen Abenteuerspielplätzen...
Stell Dir vor, es geht, und keiner kriegt's hin. Es liegt an uns. DER LETZTE REST VOM SCHÜTZENFEST
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