ULRICH SCHULTE ÜBER DEN JAHRESTAG VON WINNENDEN : Amoklauf ohne Konsequenzen
Bundespräsident Horst Köhler hat in seiner Rede zum Jahrestag des Amoklaufs in Winnenden die richtigen Worte gefunden. Bei einem solch schrecklichen Ereignis gibt es keine endgültigen Antworten, keine letzte Sicherheit. Wenn 15 Menschen sterben, ermordet von einem 17 Jahre alten, zutiefst frustrierten Jungen, bleibt ein unfassbares Moment, das kein Psychologe, Soziologe oder Kriminologe ergründen kann.
In Zeitungen und Politikerreden tauchte vor einem Jahr oft die Floskel auf, nach Winnenden sei nichts mehr, wie es war. Ein Jahr später steht fest, dass die Kommentatoren falsch lagen. Es ist fast alles so, wie es war – die Republik ist zum Business as usual zurückgekehrt. Dies müssen sich besonders die Angehörigen vergegenwärtigen, die weiter für schärfere Konsequenzen kämpfen. Sie werden in Briefen als Störenfriede beschimpft, die angeblich Betroffenheitsterror ausübten. Sie erfahren nur noch wenig Unterstützung von der Politik. Die großen Parteien CDU und SPD lehnen nach wie vor reflexartig ab, eine entscheidende Frage auch nur zu diskutieren. Nämlich die, ob es tatsächlich zu unverzichtbaren Freiheitswerten einer zivilen Gesellschaft gehören muss, ihren BürgerInnen Zugang zu Waffen zu gewähren.
Die von der großen Koalition damals beschlossenen kosmetischen Änderungen am Waffenrecht haben sich als wenig wirksam erwiesen. So finden unangemeldete Kontrollen bei Waffenbesitzern in vielen Gemeinden nicht statt, weil die Ordnungsämter heillos überlastet sind.
Es wäre grundfalsch, die politische Diskussion jetzt mit dem Argument auszublenden, sie instrumentalisiere das Gedenken an die Opfer. Es ist umgekehrt: Jeder Anlass ist recht, um diese Debatte zu führen. Und es gehört zu einer Mediengesellschaft, dass sie für Diskussionen Katalysatoren benötigt. Traurig ist nur die Konsequenz daraus. Wirksame Verschärfungen wird es wohl frühestens nach dem nächsten Amoklauf geben.
Inland SEITE 7